Kommentar

Putin ist am Ziel

Moskau versucht nicht länger, einfach nur Initiativen Amerikas oder der EU zu blockieren, sondern es will selbst gestalten. Damit ist es teilweise erfolgreich: In den Konflikten der letzten Jahre spielte Russland einen wesentlichen Part.

Eric Gujer
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Zurück zur Sowjetmacht: Dieses Ziel strebt Putin mit vornehmlich militärischen Mitteln an. (Im Bild: Feierlichkeiten zum Tag der russischen Marine im Sommer 2015) (Bild: Mikhail Klimentyev / AP)

Zurück zur Sowjetmacht: Dieses Ziel strebt Putin mit vornehmlich militärischen Mitteln an. (Im Bild: Feierlichkeiten zum Tag der russischen Marine im Sommer 2015) (Bild: Mikhail Klimentyev / AP)

Irgendwann nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann in den USA das Wort von der entbehrlichen Nation zu kursieren. Gemeint war Russland, von dessen Militärmacht nur noch verstrahlte U-Boote und die rostenden Panzerarmeen des Kalten Kriegs übrig geblieben waren. Hyperinflation und politisches Chaos taten ein Übriges, um Russland als ein Land erscheinen zu lassen, dessen Kooperation in internationalen Fragen weder notwendig noch wünschenswert war. Manche glaubten bereits, Moskau habe sich dauerhaft aus der Weltpolitik verabschiedet.

Seit Präsident Putin wieder die Mittel besitzt, um die Streitkräfte aufzurüsten, ändert sich dies. In den beiden grossen Konflikten der letzten Jahre spielt Moskau einen wesentlichen Part. Den Ukraine-Krieg löste Moskau durch die Annexion der Krim überhaupt erst aus. In Syrien wurde der Kreml durch die Unentschlossenheit Washingtons zum Eingreifen ermutigt. Indem Russland seine Luftwaffe entsandte, strafte es das westliche Mantra Lügen, wonach der Konflikt nicht mit Waffen gelöst werden könne. Mit überschaubarem militärischem Aufwand hat Russland die Lage auf dem Schlachtfeld massiv zu Asads Gunsten verändert und sich selbst eine Veto-Position verschafft.

Moskau versucht nicht länger, einfach nur Initiativen Amerikas oder der EU zu blockieren, sondern es will selbst gestalten. Der Gedanken der humanitären Intervention, der den Westen so lange und nur mit gemischten Resultaten beschäftigte, ist ihm allerdings fremd. Es konzentriert sich auf seinen nationalen Vorteil, wie Ministerpräsident Medwedew in München zugab. Eine von Werten geleitete Aussenpolitik, wie sie die USA und Europa vertreten, gilt vielmehr als Zeichen von Naivität und Blauäugigkeit. So wird sich Russland auch in Syrien nicht aktiv für einen Verständigungsfrieden einsetzen, sondern kalkulieren, welchen Nutzen es daraus zieht, wenn sich die Kriegsparteien in schier unendlichem Blutvergiessen erschöpfen.

In seiner ultra-realistischen Interessenpolitik ist Moskau ein Faktor, mit dem man wieder rechnen muss – auch wenn es selbst unberechenbar bleibt. Mit Russland gemeinsam geht es nicht, aber ohne es auch nicht. Das Land gewinnt zwar nicht die zentrale Position zurück, die es im Kalten Krieg besass, dafür bleibt es wirtschaftlich und technologisch zu schwach. Wer im 21. Jahrhundert sein Geld allein mit Rohstoffen verdient, ist keine Grossmacht. Aber Russland ist auch nicht länger entbehrlich, wie man in Washington einst hoffte.

Die Kriege in der Ukraine und in Syrien müssen abermals im Rahmen eines west-östlichen Gegensatzes gesehen werden. Im Gegensatz zum Kalten Krieg treffen die Kontrahenten nicht mehr unmittelbar an der innerdeutschen Grenze aufeinander, was der Auseinandersetzung die Schärfe nimmt. Doch zwischen EU und Nato einerseits und Russland und seinen wenigen Bundesgenossen anderseits tut sich nun von Osteuropa bis zum Nahen Osten eine Zone der Instabilität auf.

Dem Westen ist internationale Anarchie aus gutem Grund ein Greuel. Moskau hingegen sieht solche unsicheren Verhältnisse als idealen Hebel, um mit hybrider Kriegsführung und anderen vergleichsweise geringen Mitteln grosse Wirkung zu erzielen. Ob Minsker Gespräche oder die Vereinbarung zu einer Waffenruhe für Aleppo: Stets sitzt Moskau mit am Tisch und bestimmt nach eigenem Gutdünken, ob die westlichen Friedenshoffnungen Realität werden. Putin empfindet den Kollaps des Sowjetimperiums als Schmach, den es ungeschehen zu machen gilt. Dieses Ziel hat er erreicht, wenigstens ein bisschen.

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