Schließlich war es eine klare Sache: 58,9 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sagten laut Hochrechnungen Nein zur sogenannten Durchsetzungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Sie verteidigten damit ihre Grundrechte erfolgreich gegen einen Angriff von rechts. Die Populisten haben verloren.

Mit ihrem Volksbegehren wollte die SVP, dass kriminelle Ausländer automatisch ausgeschafft, also abgeschoben, werden. Nicht nur bei schweren Verbrechen. Sondern bereits bei Bagatelldelikten. Damit stellte die Initiative den Schweizer Rechtsstaat infrage. Sie hätte zu einer Zweiklassenjustiz geführt: eine für Schweizer, eine für Ausländer. Und das in einem Land, in dem mehr als ein Viertel der Bevölkerung keinen Schweizer Pass hat. Sie wäre in Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention geraten, welche die Schweiz unterschrieben hat und hätte gegen das Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union verstoßen.

Eine klare Mehrheit der Schweizer sagte deshalb: Stopp, das geht uns zu weit. Da machen wir nicht länger mit. Hier wird eine Grenze überschritten. Diesmal haben also nicht die Wut-, sondern die Mutbürger gesprochen. Denn der Widerstand gegen die radikale SVP-Initiative kam nicht aus den etablierten Parteien, nicht aus den finanzstarken Wirtschaftsverbänden, sondern aus der Mitte der Zivilgesellschaft. Junge Aktivisten vereinten sich mit engagierten Juraprofessoren und empörten Rentnern. Innerhalb weniger Wochen organisierten sie eine Gegenkampagne. 

Sie haben die Wähler elektrisiert. Seit einem Vierteljahrhundert wurde nicht mehr derart leidenschaftlich über eine Vorlage gestritten. Aus Smalltalk wurden politische Diskussionen. Verdrossene und Stimmfaule wurden über die sozialen Medien an die Urne gepeitscht. Los, jede Stimme zählt! Der 28. Februar 2016 ist ein großer Tag für die Schweiz – und für Europa.

In einer Zeit, in der die Europäische Union an der Flüchtlingskrise zu zerbrechen droht, in der gewählte Regierungen ihre Politik häufig am Boulevardgebrüll oder Stammtischradau ausrichten, sie Zäune errichten und Obergrenzen festnageln, weil das Volk das anscheinend so will; in dieser Zeit stemmt sich ein Land gegen den Zeitgeist. Und seine Stimmbürger tun, was von allen verlangt wird, die Souveränität ausüben: Sie wenden Augenmaß an, setzen sich mit der Materie auseinander – und benutzen ihren Verstand. Nicht mit der Angst im Nacken oder der Furcht in den Knochen, sondern mit Mut.