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Flüchtlinge an der mazedonisch-griechischen Grenze.

© dpa

Flüchtlinge in Europa: Kein Zaun wird sie aufhalten

Hilfsgelder zahlen oder Menschen aufnehmen – nur diese Möglichkeiten hat Europa im Umgang mit Flüchtlingen. Kommt die Hilfe nicht zu ihnen, kommen sie zu uns. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Was vor sechs Monaten unerträglich schien, berührt uns auch heute noch emotional. Aber eine breite, spontane, fast von der gesamten Gesellschaft getragene Hilfsbereitschaft, lösen die Bilder von der mazedonisch-griechischen Grenze nicht mehr aus.

Für heroische Entscheidungen gar wie die der Bundeskanzlerin am ersten Septemberwochenende 2015 – die Öffnung der Grenzen für die verzweifelten Flüchtlinge auf den Plätzen und Straßen Ungarns – ist die Zeit gänzlich vorbei. Angela Merkel weiß nur zu genau, dass die Wiederholung eines solchen isolierten deutschen Aktes der Humanität heute politisch nicht mehr durchsetzbar wäre.

Die Bilder lösen heute keine breite Hilfsbereitschaft mehr aus

Auch in Schweden, das im Verhältnis zur Bevölkerungszahl noch mehr Schutzsuchende als Deutschland aufgenommen hat, hat sich das Klima geändert. Die skandinavischen Grenzen sind dicht. Und seitdem Österreich eine Obergrenze für Schutzsuchende eingeführt hat, rückten die Barrieren über Slowenien, Kroatien und Serbien bis an die mazedonisch-griechische Grenze vor. Griechenland aber kann das Mittelmeer nicht trockenlegen, um auf dessen Grund Zäune zu bauen. Das Land ist auf dem Weg, zum Libanon Europas zu werden, zusammenzubrechen unter einer für seine Größe viel zu hohen Zahl von hungernden Flüchtlingen aus dem Nahen Osten.

Wir werden nicht erpresst, sondern sind mit Menschen konfrontiert, die unsere Hilfe brauchen. Wer von Erpressung redet macht Opfer zu Tätern - und Täter zu Opfern. Das ist feige, verantwortungslos und einfach verabscheuungswürdig.

schreibt NutzerIn wunschbenutzer

Viele Staaten der – wofür war das noch? – mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Europäischen Union scheinen sich in dieser schäbigen Haltung der Verweigerung recht komfortabel einzurichten. Dabei haben sie noch nicht begriffen, dass sie nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder sind sie bereit, Hunderttausende, vielleicht Millionen von Flüchtlingen aufzunehmen, oder sie müssen sich mit viel Geld freikaufen. Eine dritte Variante gibt es nicht.

Griechenland muss mit Geld stabilisiert werden

Geld, das sie alle und die EU Griechenland überweisen, damit dessen staatliche und gesellschaftliche Strukturen so stabilisiert werden, dass sie unter dem Ansturm der Verzweifelten nicht zusammenbrechen. Und Geld, mit dem sie die Hilfsmöglichkeiten in den Lagern in der Türkei und den Anrainerstaaten von Syrien und dem Irak so stärken, dass aus ihnen nicht mehr so viele den gefährlichen Weg nach Europa auf sich nehmen, weil das Leben nahe der Heimat erträglich geworden und der Bürgerkrieg bald vorbei ist.

Ganz ohne europäische Solidarität wird es nicht gehen

Ganz ohne die europäische Übernahme einer Teillast der Schutzsuchenden wird es auch dann nicht gehen. Angela Merkel scheint, wenige Tage vor dem Flüchtlingsgipfel der EU kommenden Montag, immer noch auf das Zustandekommen einer Koalition der Willigen zu hoffen – eines Bündnisses europäischer Staaten, die in den nächsten Jahren mehrere Hunderttausend Menschen aus den Lagern in Jordanien, dem Libanon und der Türkei bei sich aufnehmen. Wenn es der Bundeskanzlerin gelänge, neben den Beneluxstaaten nicht nur Italien, sondern auch Frankreich und Österreich von dieser Lösung zu überzeugen, wäre es schon ein kleines Wunder.

Über eines sollten sich die Verweigerer aber keine Illusion machen: Kommt die Hilfe nicht zu den Menschen, kommen die zu uns. Kein Zaun wird sie aufhalten.

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