Kommentar

Die EZB auf dem Holzweg

Mehr vom Gleichen: Nach diesem Motto lockert die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik. Die Probleme der Euro-Zone werden die Währungshüter dadurch nicht beheben.

Thomas Fuster
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Überraschend kommt das Massnahmenbündel nicht. (Bild: Imago)

Überraschend kommt das Massnahmenbündel nicht. (Bild: Imago)

Wenn eine seit Jahren eingenommene Medizin nicht mehr die erhoffte Wirkung erzielt, kann hierauf auf zwei Arten reagiert werden: Man setzt das Medikament ab, das anfänglich vielleicht durchaus seine Berechtigung hatte, und sucht selbstkritisch nach einer neuen Behandlungsmethode. Oder man hält unbeirrt am bisherigen Vorgehen fest und erhöht einfach stetig die Dosis – im festen Glauben, dass die Medizin irgendwann schon ihre segensreiche Wirkung entfalten wird. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt seit geraumer Zeit auf die zweitgenannte Option. Sie hat am Donnerstag einmal mehr eine Lockerung ihrer Geldpolitik bekanntgegeben, und zwar nach dem altbekannten Motto «ein bisschen mehr von allem». Verordnet werden dem Euro-Raum also noch mehr Liquidität, noch höhere Strafzinsen und noch umfangreichere Anleihekäufe.

Überraschend kommt das Massnahmenbündel nicht. Mario Draghi hat in den vergangenen Wochen die Erwartungen auf weitere Geldspritzen gezielt in die Höhe geschraubt und damit den EZB-Rat vor Tatsachen gestellt. Hätte das Kollegium dem Präsidenten die Gefolgschaft verweigert, wären heftige Marktturbulenzen programmiert gewesen – und daran hat in diesen ohnehin schon allzu volatilen Zeiten niemand ein Interesse. Also erfüllte man die zusehends überrissen wirkenden Markterwartungen und lehnt sich künftig noch ein bisschen weiter aus dem Fenster, Absturzgefahr hin oder her. An den Finanzmärkten wurden die Massnahmen dennoch nur kurzzeitig mit Applaus quittiert: Die Aktienkurse stiegen zunächst, der Euro verlor an Wert, und die Renditen europäischer Staatsanleihen fielen auf ein Rekordtief. Bald drehten die Kurse aber wieder ins Minus; der Frankfurter Zauber war von kurzer Dauer.

Begründet wird die Lockerung mit der unter dem Zielwert von knapp 2 Prozent liegenden Inflation. Sehr überzeugend tönt das nicht. Lässt man den aussergewöhnlich starken Einbruch des Erdölpreises ausser acht und blickt auf die langfristig weit aussagekräftigere Kerninflation, oszilliert die Teuerung seit Oktober zwischen 1,1 und 0,7 Prozent. Grund für Aktivismus ist dies nicht. Vielmehr kommt eine solche Entwicklung dem Ziel der Preisstabilität recht nahe, wobei die tiefen Energiepreise ein willkommenes Stimulierungsprogramm darstellen, also nicht zwingend nur negativ sind. Etwas mehr Besonnenheit schiene da begründet, und der Eindruck der Überreaktion drängt sich auf. Draghi pariert solche Kritik indes mit einem nicht zu knappen Mass an Alarmismus. Am Donnerstag erklärte er, allein der EZB sei es zu verdanken, dass die Euro-Zone nicht in einer «desaströsen Deflation» versunken sei.

Doch die Inflationserwartungen hängen derzeit primär von der Entwicklung der Erdölpreise ab, und auf diese Preise hat selbst die EZB wenig Einfluss. Auch einen Anstieg der Investitionen dürften die Währungshüter kaum auslösen. Eine wachsende Zahl verunsicherter Unternehmen erachtet eine Welt negativer Zinsen und ad absurdum geführter Finanzanreize nämlich als Zeichen wachsender Verzweiflung. Das entspricht nicht jenem Nährboden, auf dem langfristig orientierte Investitionen gedeihen. Und mancher Bürger wird allenfalls gar seine Sparanstrengungen verstärken, da ihm vor Augen geführt wird, dass Vorsorgesysteme in einer Welt negativer Zinsen kaum länger imstande sind, das für den Ruhestand benötigte Geld zu erwirtschaften. Das Ziel der Konsumstimulierung würde dadurch ins Gegenteil verkehrt.

Das viele frische Geld dürfte kaum in der Realwirtschaft ankommen, sondern vielmehr die Blasenbildung an den Finanzmärkten verstärken. Der wichtigste Transmissionsmechanismus für die Übertragung geldpolitischer Impulse, die Kreditvergabe der Banken, wird durch negative Zinsen zusehends blockiert. So können die Banken die Negativzinsen kaum an Sparer weiterreichen, da diese ihr Geld sonst abheben und «unter der Matratze» horten könnten. Um die höheren Zinskosten dennoch auf die Kunden abzuwälzen und der sinkenden Profitabilität zu begegnen, erhöht manche Bank einfach ihre Kreditzinsen, etwa im Hypothekarbereich. Die zur Ankurbelung von Krediten gedachten Negativzinsen führen in diesen Fällen zu einer Verschärfung der Kreditpolitik. Die überdosierte Medizin der EZB ist bisweilen nicht nur wirkungslos, sondern gar kontraproduktiv.