Drei Selbstmordanschläge innerhalb eines halben Jahres allein in der Hauptstadt Ankara, Kämpfe mit schweren Waffen in den kurdischen Städten, insgesamt weit über 1000 Menschen, die seit der letzten Parlamentswahl im Juni vergangenen Jahres zum Opfer politischer Gewalt wurden: Zivilisten, Sicherheitskräfte, PKK-Leute.
Dass die deutsche Botschaft in Ankara, das deutsche Konsulat und die Deutsche Schule in Istanbul am Donnerstag wegen einer Terrorwarnung geschlossen wurden, ist da schon fast eine Quantité négligeable.
Wie gut begründet diese Warnung war und von welcher Seite womöglich eine Gefahr für deutsche Einrichtungen drohte, blieb zunächst unklar. Klar hingegen ist: Die Türkei rutscht, nein, eilt großen Schrittes in Richtung Chaos.
Einen aber scheint das wenig zu stören: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. In der Vergangenheit hat er die Erfahrung gemacht, dass gesellschaftlicher Frieden sich für ihn nicht auszahlt. 2013, als der Waffenstillstand mit der kurdischen PKK beschlossen wurde, kam es zu den Gezi-Protesten und den Korruptionsermittlungen gegen sein Umfeld – die bis heute größten Herausforderungen seiner Herrschaft.
Am Rande des Bürgerkrieges
Frieden lohnt sich nicht. Im Konflikt, im Krieg hingegen kann Erdogan seine Anhänger mobilisieren und immer größere Teile von Staat und Gesellschaft unter Kontrolle bringen. Deswegen ist auch nicht anzunehmen, dass mit dem Präsidialsystem, das er sich so sehnlich wünscht, innerer Frieden einkehren wird. Und spätestens seit dem Anschlag vom Sonntag ist klar, dass er in der PKK einen faktischen Verbündeten gefunden hat.
Irgendwann muss man fragen, ob die „autoritären Tendenzen“, die westliche Politiker Erdogan schon seit geraumer Zeit attestieren, nicht bereits abgeschlossen sind und in der Türkei nicht längst ein autoritäres, personenfixiertes Regime installiert ist. Außer beim Besitz der Atombombe unterscheidet die Türkei nicht mehr viel von Pakistan.
Eine ganz andere Frage ist, ob es moralisch vertretbar und politisch klug ist, sich in einem solchen Maße an dieses Regime auszuliefern, wie es die Bundesregierung gerade tut. Das auf Polizeigewalt, Nepotismus und Ressentiment aufgebaute Erdogan-Regime hat die Türkei an den Rand des Bürgerkriegs geführt, vielleicht schon darüber hinaus.
Die Frage ist aber nicht, wie lange es sich noch halten kann, sondern wen und was es beim Auseinanderkrachen mit sich in den Abgrund ziehen wird – und welche Folgen dies für Deutschland und Europa haben wird.