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Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Leak ist Pop!

Die Inszenierung übertrumpft die Inhalte: Die Panama Papers zeigen, wie sich die Bedeutung von Leaks verändert hat. Jeder liest darin, was er eh schon immer geglaubt hat.

Bei einer Abstimmung über das ausgelutschteste Zitat zur Medienwelt läge uneinholbar vorn: "The medium is the message". Das Medium ist die Botschaft, der ikonische Satz von Marshall McLuhan, so universal anwendbar wie oft benutzt wie meist falsch verstanden. Aber durch zeitgenössische Abwandlung etwas entlutscht, erscheint es als Leitspruch der Stunde, als Ein-Satz-Gebrauchsanleitung, wie man sich den Panama Papieren nähern kann:

The leak is the message.

Das GröLaZ, das "größte Leak aller Zeiten", ausgewertet unter Federführung der "Süddeutschen Zeitung",  darf man, kann man, soll man kritisch betrachten. Die Inszenierung, die Orchestrierung, die ersten Interpretationen, die Noch-Diffusität der Inhalte, die scheinbare Unausgewogenheit - überall ließe sich ansetzen, und zwar kritisch, kritisch, kritisch. In einigen Punkten vielleicht gerechtfertigt, obwohl unklar ist, wie man ohne geplante Inszenierung eine entsprechende Wirkung erreichen könnte. Und doch ist die publizistische Leistung und ihre kommende Wirkung kaum zu überschätzen, die Vorbeben sind global spürbar. Die Panama Papers sind als Ereignis sogar wichtiger als die Inhalte darin, denn sie markieren einen Anfang. Den Anfang des Leaks als Pop.

Hä?

Der Soziologieprofessor Stuart Hall  entwickelte in den Siebzigerjahren einen Erklärungsansatz für Populärkultur. Er bezog sich stark auf den Empfänger, denn er sah im Empfang, in der Decodierung von populärkultureller Kommunikation einen aktiven (und politischen) Prozess. Eine Poptheorie, schon 1973 wie für das Internet gemacht: Die Botschaft entsteht im Kopf des Publikums, und es ist nicht immer die vom Absender beabsichtigte. Nicht nur Schönheit, auch Bedeutung liegt im Auge des Betrachters. Entsprechend ist die Reaktion individuell unterschiedlich.

Das Mossack-Fonseca-Leak ist Pop, weil das Wichtigste daran (noch) nicht die Inhalte sind - sondern wie sich wer dazu verhält. Die Reaktionen auf die Panama Papers sagen viel mehr über das Publikum als über die Inhalte. Auch weil das meiste noch gar nicht bekannt ist.

Mit Leaks wird Politik gemacht

Es gibt eine Vielzahl von Hinweisen, Anzeichen, Andeutungen, nachvollzogene Beziehungsnetze , ex-verborgene Firmenkonstruktionen, hochverdächtige Praktiken. Es gibt bisher wenig: Beweise. Anders als bei Edward Snowden ist weder die Person hinter den Panama Papers noch deren Motivation wirklich bekannt, und mit Leaks wird schon lange aktiv Politik betrieben. Dieser Umstand wird ein ewiger Quell für wirre Verschwörungstheorien ebenso wie für gut begründbare Skepsis bleiben.

Ich bin aber überzeugt, dass die Daten aus dem Leak in den nächsten Wochen und Monaten weltpolitisch Explosives hervorbringen können. Der Premier von Island ist bereits zurückgetreten (oder so etwas Ähnliches), nach einem der missglücktesten Interviews der jüngeren Politgeschichte . Und nachdem unfassbare zehn Prozent aller isländischen Wahlberechtigten demonstriert hatten. Als würden in Berlin sechseinhalb Millionen Menschen vor dem Kanzleramt stehen.

Die Diffusität der meisten Informationen in den ersten 48 Stunden aber hatte eine Art Stuart-Hall-Effekt: Jeder decodierte die Informationsbrocken so, wie es ihm in den Kram passte. Das Leak als Pop, als populäre, individuelle Projektionsfläche. Das erklärt nebenbei, weshalb auffällig viele Artikel der beteiligten Medien davon handeln, wie alles geschah. Also nicht vom Inhalt des Leaks, sondern vom Umgang damit. Pop enthält immer Selbstreferenzialität. So findet jeder in der Popkultur das, was er finden will, eine Aufgabe, einen Anlass, eine Bestätigung der eigenen Weltsicht.

Das Beispiel Sahra Wagenknecht

Beispiel Sahra Wagenknecht. Die auf Facebook ihre Version des Pegida-Schlachtrufs "Lügenpresse!" veröffentlicht . Die Panama Papers offenbarten "manipulative Meinungsmache der westlichen Mainstream-Medien. Zum Beispiel: kein einziger veröffentlichter Name aus den USA - und das bei rund 2,6 Terabyte an Daten."

Wagenknecht weiß nicht mehr über die Panama Papers als alle anderen, aber sie weiß ganz, ganz genau, dass die Amerikaner (samt höriger Medien) irgendwie böse sein müssen, und zwar wegen des Nichtauftauchens amerikanischer Namen. Längst wird in amerikanischen Medien diskutiert , dass die USA mindestens drei eingebaute Panamas haben, Delaware, Wyoming und Nevada, wo die Gründung von offshore-artigen Firmen ein Kinderklick ist. Aber Gründe und Hintergründe sind egal, denn Wagenknecht benutzt das erste Popleak, um zu sehen, was sie sehen möchte und entsprechend darauf zu reagieren. Und sie ist damit nicht allein.

Ein paar SPD-Politiker empören sich und fordern schärfere Gesetze. So wie sie es immer tun, wenn irgendwas in der Finanzwirtschaft geschieht. Ein paar CDU-Politiker relativieren, wägen ab, nehmen in Schutz. So wie sie es immer tun, wenn irgendwas in der Finanzwirtschaft geschieht. Die sich für abgeklärt Haltenden stellen ihre große Abgeklärtheit aus . Das "Wallstreet Journal"  lenkt die Aufmerksamkeit von der Offshore-Ökonomie auf die böse Politik. Die "New York Times" erklärt , sie brauche erst mehr Informationen, um sich tiefergehend zu äußern. Im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen wird dabei etwas zu deutlich die eigene, edle Durchdächtigkeit vorgekehrt, Spuren des Beleidigtseins blitzen auf, mutmaßlich wegen Nichteinbeziehung in die mediale Aufbereitung.

Alle sehen sich bestätigt

Kapitalismuskritiker sehen ihr gefühltes Wissen über die Reichen und Mächtigen bestätigt, ihre publizistischen Gegenspieler möchten alles in die Bedeutungslosigkeit differenzieren. Atlantisch geprägte Kommentatoren betonen misstrauisch die Putin-Verbindungen, anti-atlantisch geprägte Kommentatoren betonen misstrauisch die Betonung der Putin-Verbindungen. Nur eine Frage der Zeit, bis der erste "Israel-Kritiker" die Ab- oder Anwesenheit von Juden in den Panama Papers als 200-prozentigen Beleg für die unleugbaren Jahrtausendfrevel der "Zionistischen Weltverschwörung" herauströtet. Die Internetpeople spotten auf Twitter wie immer, vermuten auf Facebook querfeldein wie immer und basteln T-Shirts mit dem Logo der Kanzlei Mossack Fonseca  wie immer. Anlassbezogene Erotic Romance-E-Books  (Putin und Panama!) erscheinen wie immer. Auf der Fifa hacken alle herum wie immer, die hat es aber auch wirklich nicht anders verdient.

Wer sich als Teil der 99 Prozent empfindet, hat jetzt noch mehr Gründe für die Generalschlimmfindung des einen Prozents. Wer selbst gern zu den 1 Prozent gehören würde, betont ausgerechnet jetzt, dass nicht alles schlimm und illegal ist in Offshore-Panama. Ist es auch nicht, aber das Timing ist beim Pop immer auch ein Teil der Botschaft.

Die meisten Reaktionen sind ausgestellte Hülsen der längst gefassten Welthaltung, ritualisierte Andachten der Erwartbarkeit mit der Überraschungskraft des Donners nach dem Blitz. Die Mehrzahl der öffentlichen Äußerungen hätte ein Team mittelmäßiger Drehbuchautoren wortgleich vorher gescriptet, allein auf den Zuruf "Steuerleak".

Der große Unterschied: Die Snowden-Enthüllungen haben die meisten Leute überrascht, die Panama Papers haben die meisten Leute bestätigt. Daher liegt die enorme Bedeutung der Panama Papiere - bisher! - in der provozierten Positionierung des Publikums. Das Leak als Anlass, Stellung zu beziehen. WikiLeaks war schmutzige Avantgarde, Snowden (als sich opfernder Hilfsheiland des Leaks) war die Personifizierung, und jetzt ist das Leak endgültig Mainstream: Panama Pop.

tl;dr

Panama Pop Papers.

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Foto: SPIEGEL ONLINE