Die Krise in Libyen ist eine ernste Prüfung für Europas Außenpolitik

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Die EU kann sich keine weiteren Planungsfehler in Libyen leisten. Denn alles, was in dem Mittelmeerstaat passiert, hat Auswirkungen auf Europa.

Es war ein überraschendes Eingeständnis, mit dem der US-Präsident just in dem ihm nicht gerade freundlich gesinnten Sender Fox News aufwartete: Es sei zwar richtig gewesen, 2011 aufseiten der libyschen Rebellen einzugreifen. Zugleich sei es aber der größte Fehler seiner Präsidentschaft gewesen, keinen Plan für die Zeit nach dem Sturz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi ausgearbeitet zu haben, sagte Barack Obama.

Seine Aussage in dem vor einigen Tagen ausgestrahlten Interview fällt in eine Zeit, in der Libyen wieder in den Fokus der europäischen Politik gerät. Die Außenminister Italiens, Deutschlands und Frankreichs besuchten nun die neue libysche Einheitsregierung in der Hauptstadt Tripolis. Und die EU-Verteidigungsminister berieten am Dienstag über die Lage in dem nordafrikanischen Land.

Das verstärkte Interesse an Libyen kommt reichlich spät. Fünf Jahre nach der im März 2011 gestarteten Nato-Intervention steckt das Land tief im Chaos. Zwar ist die Bildung der Einheitsregierung ein leiser Hoffnungsschimmer. Doch Libyen ist nach wie vor politisch zersplittert. Regionale Machtzentren samt ihren Milizen versuchen, ihren Einfluss auf Kosten der jeweils anderen auszuweiten. Zudem wurde Libyen Operations- und Rückzugsort jihadistischer Organisationen. Die gefährlichste davon, der sogenannte Islamische Staat (IS), kontrolliert den Küstenabschnitt rund um Gaddafis Geburtsstadt, Sirte.

Es sind die Angst vor der wachsenden Präsenz der IS-Extremisten auf der anderen Seite des Mittelmeers und die Sorge vor der Renaissance einer alten Flüchtlingsroute, die die Europäer nun auf den Plan rufen. Libyen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der EU. Von Tripolis bis zur italienischen Insel Lampedusa sind es nur etwa 300 Kilometer Luftlinie. Alles, was in Libyen geschieht, hat früher oder später auch Auswirkungen auf Europa.

Obamas Eingeständnis seiner falschen oder gar fehlenden Planung für die Zeit nach Gaddafi mag eindrucksvoll sein. Derselben Einsicht bedürfte es aber auch in der europäischen Politik. Nicht nur, weil die Folgen einer Fehlentwicklung in Libyen vor allem beim Anrainer EU zu spüren sind. Sondern auch, weil der Krieg gegen Gaddafi in erster Linie ein europäischer Krieg war: Am vehementesten drängte Frankreichs damaliger Präsident, Nicolas Sarkozy, 2011 auf ein Eingreifen. Sarkozy erkannte schon bald den Nationalen Übergangsrat der libyschen Opposition als einzigen legitimen Vertreter des libyschen Volkes an. Im Übergangsrat saßen auch von Gaddafi abgefallene Minister; und in Paris hoffte man offenbar, dass ihr Exchef, der exzentrische, oft unberechenbare und brutale Machthaber, bald Geschichte sein würde.

Als Regimetruppen dann kurz vor der Eroberung der Oppositionshochburg Bengasi standen, machten sich vor allem Paris und London für militärische Hilfe stark. Und französische Jets waren die ersten, die Bomben auf Gaddafis Armee warfen. Die USA schalteten in der Anfangsphase des Einsatzes mit Marschflugkörpern Libyens Luftabwehr aus. Sonst versuchten sie aber, bei der Militäraktion weitgehend den europäischen Verbündeten das Feld zu überlassen.


Nach dem von Europäern forcierten Militäreinsatz hätte es deshalb vor allem europäischer Anstrengungen bedurft, um der inhomogenen Rebellenallianz bei der Suche nach einer tragfähigen Nachkriegslösung zu helfen. Immerhin standen auch Firmen aus Italien, Frankreich und Großbritannien schon lang in der ersten Reihe, wenn es um Wirtschaftsinteressen in Libyen ging. Doch diese Anstrengungen waren nur halbherzig. Die Rivalitäten zwischen Libyens neuen Herren verschärften sich immer mehr, bis das Land 2014 erneut in den Strudel der Gewalt hinabgezogen wurde.

Es war wohl auch schon in der Zeit nach Gaddafis Sturz für die EU-Staaten eine nur schwer zu erfüllende Mission, einen Ausgleich zwischen den vielen Interessen libyscher und benachbarter arabischer Akteure herzustellen. Nur hilft das heute wenig. Denn heute ist die Lage noch verfahrener als damals. Die Stabilisierung Libyens ist eine ernste Prüfung für die EU-Außenpolitik. Denn weitere Planungsfehler wird Europa direkt zu spüren bekommen.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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