Kommentar

Die Wut der Österreicher

Die Wähler haben genug von den Mauscheleien der Regierungsparteien. Doch deren Niederlage zeigt auch, dass die Übernahme der rechtspopulistischen Rezepte wenig erfolgversprechend ist.

Ivo Mijnssen
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Konsterniert: Die Kandidaten Andreas Khol (l., ÖVP) und Rudolf Hundstorfer (SPÖ) nehmen ihre schlechten Resultate zur Kenntnis; rechts der Sprengkandidat Richard Lugner. (Bild: Heinz-Peter Bader / Reuters)

Konsterniert: Die Kandidaten Andreas Khol (l., ÖVP) und Rudolf Hundstorfer (SPÖ) nehmen ihre schlechten Resultate zur Kenntnis; rechts der Sprengkandidat Richard Lugner. (Bild: Heinz-Peter Bader / Reuters)

Die erste Wahlrunde im Kampf um den Einzug in die Hofburg hat Österreichs Politik erschüttert. Auch wenn der neue Bundespräsident erst in der zweiten Runde bestimmt wird, ist eines klar: Die beiden einstigen Grossparteien SPÖ und ÖVP haben ein Fiasko erlitten. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg stellt keine von ihnen den Bundespräsidenten. Beide ihrer Kandidaten scheiden bereits in der ersten Runde aus.

Grossparteien am Ende

Die Sozialdemokraten und die Konservativen, die während Jahrzehnten in Österreich politisch schalten und walten konnten, wie es ihnen beliebte, haben ihre Mehrheitsfähigkeit verloren. Andreas Khol von der ÖVP und Rudolf Hundstorfer von der SPÖ vereinigten gemeinsam weniger als ein Viertel der Stimmen auf sich. Dass sie so blamabel abschnitten, hat einerseits mit den Kandidaten selbst zu tun: Der verdiente Altpolitiker Khol versuchte mit grosser Anstrengung, sich jung und dynamisch zu geben, wirkte aber oft hektisch. Hundstorfer seinerseits nahmen viele schlicht nicht ab, dass er wirklich Präsident werden wollte – zu unmotiviert und lustlos gab er sich. Telegen waren beide nicht.

Die Attribute der Kandidaten verweisen aber auch auf ein tiefer sitzendes Malaise der beiden Traditionsparteien. Der 64-jährige Hundstorfer und der Mittsiebziger Khol sind Bilderbuchvertreter jenes politischen Establishments, gegen dessen Reformunfähigkeit sich der Zorn der Wähler richtet. Hundstorfer machte im «roten Wien» bei den Sozialdemokraten im Staatsdienst Karriere und war während Jahrzehnten Gewerkschaftsfunktionär. Khol leitete während eines Jahrzehnts den mächtigen ÖVP-Seniorenbund.

Mobilisierten Institutionen wie diese in der Vergangenheit zahlreiche Stimmen für die Kandidaten des Duopols, erscheinen sie zunehmend wirkungslos. Die traditionellen Wähler bleiben entweder zu Hause oder wandern ab – unter anderem zu den Rechtspopulisten. Der Triumph der FPÖ im ersten Wahlgang zeigt, welches Ausmass diese Verschiebung angenommen hat.

Differenzierte Empörung

Das politische Erdbeben vom Sonntag hat zwar vorerst keine direkten politischen Konsequenzen, auch wenn der Druck auf die Regierung steigen wird, personelle Änderungen oder gar Neuwahlen anzuordnen. Sowieso ist ein Weiterwursteln keine empfehlenswerte Strategie. Die nächsten Nationalratswahlen mögen noch zwei Jahre entfernt sein, doch angesichts der Unfähigkeit der Regierung, die drängenden Probleme bei der Arbeitslosigkeit, dem Wirtschaftswachstum und der Bildung zu lösen, wird die Unzufriedenheit nur zunehmen; am Sonntag gaben drei Viertel der Wahlberechtigten an, entweder enttäuscht oder gar verärgert zu sein über die Regierung.

Der Wahltag hat aber auch gezeigt, dass es falsch wäre, die Rezepte der FPÖ in verwässerter Form zu übernehmen. So war zwar die Flüchtlingskrise auch in diesem Wahlkampf das dominierende Thema, was den Rechtspopulisten half. Dass die Koalition in diesem Bereich einen harten Kurs verfolgt, hat ihren Kandidaten aber nicht geholfen. Auch kristallisierte sich die Wut der Österreicher nicht nur in Form von Unterstützung für die FPÖ. Vielmehr vereinigten die beiden gemässigten Kandidaten Alexander Van der Bellen und Irmgard Griss vierzig Prozent der Stimmen auf sich. Beide traten eher spröde sowie dezidiert unpopulistisch auf und argumentierten differenziert. Dies spricht für die Reife der Wähler, die einen Wandel wollen, jedoch nicht dem Reiz von Scheinlösungen erliegen. Die Regierung sollte das Fiasko als Auftrag verstehen, eine ehrlichere und lösungsorientierte Politik zu verfolgen.