Kommentar

Ein Skandal, der keiner ist

Die von Greenpeace publizierten Papiere über die transatlantischen Freihandelsverhandlungen sorgen für Schlagzeilen. Doch wo ist der Skandal, wenn jeder Partner seine bekannten Interessen verteidigt?

René Höltschi, Brüssel
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Die Schlagzeilen tönen dramatisch, enthalten aber kaum Neuigkeiten.(Bild:Reuters)

Die Schlagzeilen tönen dramatisch, enthalten aber kaum Neuigkeiten.(Bild:Reuters)

Sie tönen dramatisch, die Schlagzeilen: «Geheime TTIP-Papiere enthüllt», «USA üben massiven Druck auf EU aus». Die Grundlage bilden vertrauliche Papiere unter anderem zur Position der USA in den laufenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU (TTIP). Die Umweltorganisation Greenpeace hat sie zugespielt erhalten und nun veröffentlicht. Doch soweit auf den ersten Blick überschaubar, enthalten sie zwar viele Details, aber kaum echte Neuigkeiten.

Geben und Nehmen

Die USA wollten Zugangserleichterungen für europäische Autos von Zugeständnissen der Europäer im Agrarhandel abhängig machen, ist etwa zu erfahren. Ja klar, aus genau solchem Geben und Nehmen bestehen Freihandelsverhandlungen. Die Amerikaner würden den europäischen Wunsch ablehnen, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte zur Streitschlichtung zwischen Staaten und Investoren durch ein Gerichtssystem zu ersetzen: Alle Signale aus den USA deuteten bisher auf eine solche Position hin; hier stehen harte Verhandlungen an. Washington hat Mühe mit dem Vorsorgeprinzip der EU, wonach Produkte nur erlaubt werden, wenn ihre Unschädlichkeit nachgewiesen ist: Dagegen rennen die Amerikaner, die einen anderen Ansatz haben, schon lange an.

Spezielles Verständnis von Transparenz

Greenpeace veröffentlicht die Papiere nach eigenem Bekunden im Dienste der Transparenz, pflegt aber selbst ein etwas spezielles Verständnis von Transparenz. Die Dokumente wurden zunächst nur einigen ausgewählten Medien ausgehändigt, die ab Sonntagabend darüber berichten durften und dies meist ganz im Sinne von Greenpeace taten. Für andere Medien und alle Bürger zugänglich wurden die Unterlagen hingegen erst am Montag um 11 Uhr. Hervorzuheben ist, dass das Leck Verhandlungspositionen dokumentiert, keine Verhandlungsergebnisse – letztere wurden schon immer veröffentlicht. Die EU hat ihre eigenen Positionen unter dem Druck der Öffentlichkeit zum Teil längst publiziert. Noch nie zuvor waren über laufende internationalen Verhandlungen so viele Einzelheiten bekannt. Fraglich ist, wem solche Transparenz dient. Die Öffentlichkeit erfährt dadurch wenig Neues.

Erschwerte Verhandlungen

Für die Unterhändler hingegen wird es schwieriger, taktisch vorzugehen oder ohne Gesichtsverlust Kompromisse zu schliessen, wenn ihre Positionen im Voraus im Detail bekannt sind. Die ohnehin schon heiklen TTIP-Verhandlungen werden damit nicht einfacher. Eingefleischten TTIP-Gegnern kann das nur recht sein. Wer Freihandel befürwortet, weil er Wohlstand und Arbeitsplätze schafft, sieht die Entwicklung hingegen mit Sorge.