Die EU-Kommission wagt den Einstieg in das längst und schon ewig überfällige gemeinsame europäische Asylrecht. Ihr Vorschlag zum künftigen Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern trägt dem Umstand Rechnung, dass Europas geografische Gestalt die östlichen und südlichen EU-Länder zu Erstaufnahmestaaten stempelt. Die Erstaufnahmeländer bekommen nun tätige, kalkulierbare Solidarität zugesichert.
Der Vorschlag trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Europäer sich über das Thema nahezu völlig zerstritten haben. Die Zweitaufnahmeländer können künftig darauf vertrauen, dass die Erfassung und Verteilung der Ankommenden besser funktioniert als bisher.
Das alles gilt, falls der Vorschlag dem Europäischen Rat der Regierungschefs gefällt. Kann das vorausgesetzt werden? Das ist die große Frage des Frühsommers. Die britische Volksabstimmung am 23. Juni und die spanische Neuwahl drei Tage später lassen vermuten, dass eine Übereinkunft wahrscheinlich erst in den letzten Stunden des regulären EU-Sommergipfels erfolgt. Bedingung dafür ist, dass das Referendum und die Neuwahl jeweils eindeutig interpretierbare Resultate erbringen.
Der Kommissionsvorschlag macht es den EU-Befürwortern in Großbritannien und den EU-freundlichen Parteien in Spanien leichter, für die Vorlage aus Brüssel einzutreten. Polen, die Slowakei und Ungarn können ihrerseits ebenfalls darauf verweisen, dass es eine Zwangsansiedlung von Flüchtlingen bei ihnen nicht geben soll. Die Option, keine Flüchtlinge zu nehmen, muss allerdings von solchen Regierungen finanziell kompensiert werden.
Gegenseitiger Ausgleich
Das wird noch für Streit sorgen. Aber erstens ist die Höhe der Kompensation noch nicht in Stein gemeißelt. Zweitens gehört es zum Prinzip der EU, gegenseitige Ausgleichsleistungen zu erbringen. Von ihnen haben die früheren Zwangsmitglieder des Ostblocks bisher sehr profitiert.
Die EU-Kommission präsentiert eine Beschlussvorlage, von der sie glaubt, sie sei durchsetzbar. Das ist nicht nur in der aktuellen Krise ein politischer Meilenstein. Seit 1999 hat die EU das gemeinsame europäische Asylrecht angestrebt. 17 Jahre später leitet Brüssel in enger Abstimmung mit einigen Regierungen die ersten konkreten Schritte dazu ein.
Die Befürchtung, die EU könne ohne eine solche Initiative womöglich irreparablen Schaden nehmen, war in der Kommission so groß wie in etlichen EU-Mitgliedsländern. In Krisen zeigt sich dann, dass Europa handlungsfähig und kompromisswillig bleibt.