Kommentar IS in Libyen: Es droht ein Irak am Mittelmeer

Libyen ist einem Bürgerkrieg zwischen dem Ost- und dem Westteil des Landes näher als je zuvor. Daran ist auch die EU schuld.

Ein zerbombtes Auto steht an einem Sicherheitsposten in Misrata, Libyen

Zerbombtes Auto in Misrata: Libyen war noch nie näher an einem Bürgerkrieg als heute Foto: dpa

Die EU will den Vormarsch des Islamischen Staates (IS) in Libyen stoppen. Doch den Schutz der Botschaften und des in der Hauptstadt Tripolis fest sitzenden Premierministers Fajes al-Sarradsch sollen Blauhelme übernehmen. Europa selbst beschränkt sich auf die Entsendung von Spezialeinheiten und Munition. Dabei wird man ausgerechnet mit den Milizen kooperieren, die vor zwei Jahren putschten, weil ihnen das Ergebnis der Parlamentswahlen nicht passte.

Weil sich al-Sarradsch von der Islamisten-Allianz schützen lässt, weigert sich das nach Ostlibyen geflohene Parlament, ihm die nötige Legitimierung zu geben. Kurzum: Libyen ist einem Bürgerkrieg zwischen dem Ost- und dem Westteil des Landes näher als je zuvor.

Zwischen den Milizen in Tripolis und der Armee im Osten liegt Sirte, die Hochburg des ehemaligen Diktators Muammar al-Gaddafi. Rund 6000 IS-Kämpfer haben sie zu einer Festung ausgebaut. Die Hoffnung, dass die Libyer vereint gegen die Extremisten vorgehen werden, ist naiv – zumal dann, wenn Europa offen Partei für eine Seite ergreift, die zu allem Überfluss keinerlei Interesse am Aufbau einer neutralen Armee und Polizei hat.

Die Libyen-Konferenz von Wien wird nicht die Expansion des IS und die lebensgefährliche Migration über das Mittelmeer stoppen, sondern genau die mafiösen Milizen stärken, die einen stabilen Staat ablehnen. Anders als die Diplomaten sehen die Konfliktparteien den IS nicht als ihren Hauptfeind, sondern eine Chance, die Gegenseite auf Distanz zu halten. Dem IS werden sie sich deshalb wohl erst dann entgegenstellen, wenn es zu spät ist.

Wenn der Friedensprozess überhaupt eine Chance haben soll, dann müssen die noch funktionierenden Armee- und Stammes-Strukturen endlich einbezogen werden. Denn gerade im Osten gibt es Bestrebungen, eigene Regierungsstrukturen aufzubauen, weil Europa die libysche Bevölkerung derart lange der Gewalt der Islamisten überließ.

Als Vorbedingung für jegliche militärische Hilfe des Westens müssten außerdem die Kommandeure beider Seiten – und nicht die machtlosen Politiker – an den Verhandlungstisch geholt werden. Der internationale Strafgerichtshof in Den Haag und die bestehenden UN-Resolutionen zum Schutz der Zivilbevölkerung machen ein robustes politisches Eingreifen möglich. Die Alternative wäre ein Irak am Mittelmeer.

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Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.

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