Kommentar

Längst überfällige Resolution

Es steht dem Bundestag gut zu Gesicht, den Völkermord an den Armeniern und anderen Christen endlich beim Namen zu nennen und sich zur deutschen Mitschuld zu bekennen. Alles andere wäre feige gewesen.

Daniel Steinvorth
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Fotografie der Deportation von Armeniern in Richtung Aleppo, Datum unbekannt. (Bild: Kathryn Cook / Keystone)

Fotografie der Deportation von Armeniern in Richtung Aleppo, Datum unbekannt. (Bild: Kathryn Cook / Keystone)

Es hat Tradition in Deutschland, die Türkei und ihren Vorgänger, das Osmanische Reich, in der Armenier-Frage nicht zu verärgern. So war es 1915, als das Deutsche Reich zu den Greueltaten ihres Waffenbruders schwieg. So ist es mehr als hundert Jahre später, wenn deutsche «Realpolitiker» bei der Anerkennung des hinlänglich dokumentierten Völkermordes zu beschwichtigen versuchen. «Unser einziges Ziel ist es, die Türkei an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht», hiess es einst. Man dürfe das wichtige Flüchtlingsabkommen nicht aufs Spiel setzen, heisst es heute. Oder: Man wolle die Annäherung von Türken und Armeniern nicht gefährden, so das Argument des deutschen Aussenministers Frank-Walter Steinmeier, der der Abstimmung zum Völkermord im Bundestag fernblieb.

Diese Linie, die sich durchsetzte, wann immer es aus Berlin hiess, Türken und Armenier mögen von sich aus nach Wegen der Verständigung suchen, hatte letztlich nur einen Nutzen: Die Verwendung des bösen V-Wortes konnte umgangen werden, die türkische Regierung blieb bei Laune. Denn einen Annäherungsprozess zwischen der Türkei und Armenien gibt es heute faktisch nicht (mehr) – genauso wenig wie eine Abweichung vom bornierten Geschichtsbild aus Ankara.

Auch die AKP-Regierung hat sich schliesslich eingeigelt mit ihrem Verständnis der Ereignisse von 1915 als «kriegsbedingte Sicherheitsmassnahme» gegen einen Feind im Inneren. Auch sie führt die jahrzehntealte Tradition der Leugnung und Verharmlosung fort. Und das, obwohl sich gerade sie so gern an der Glanzzeit des Osmanischen Reiches orientiert: Warum eine Politik verteidigen, die vor über hundert Jahren bewusst den Bruch mit dem Vielvölkerstaat suchte und viele hunderttausend Armenier, Assyrer und andere orientalische Christen in den Tod schickte?


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Man kann darüber streiten, welche Motive die deutschen Parlamentarier hegten, dass sie die längst überfällige Völkermord-Resolution erst jetzt verabschiedeten, nachdem sie 2015 darauf verzichtet hatten. Der Wunsch, Präsident Erdogan eins auszuwischen oder auch der Bundesregierung, die seit langem unter Verdacht steht, vor dem türkischen Machthaber zu kuschen, spielte sicher eine Rolle. Dennoch steht es dem Bundestag gut zu Gesicht, den Parlamenten anderer Länder gefolgt zu sein und so wie Frankreich, die Schweiz, Kanada oder die Niederlande den Völkermord endlich beim Namen zu nennen. Genauso wichtig war es, sich zur deutschen Mitschuld zu bekennen. Sich nur weiter zurückzuhalten, wäre letztlich nichts anderes als feige gewesen – und hätte den Vorwurf der Erpressbarkeit erst recht verstärkt.