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Diese Gewalt ist weiß, männlich und rechts

Nationalismus ist giftig. Werden ihm Alkohol, Männer und Fußball beigemengt, wird er hochexplosiv.

Martin Stricker

Natürlich: Die übergroße Mehrheit der Fußballfans ist friedlich. Ob aus England, Russland, der Türkei, Kroatien oder sonst wo - trotz aller Begeisterung für die eigene Mannschaft ist die Lust auf Krawall üblicherweise weniger ausgeprägt als der Wunsch nach Spaß und Freude. Die verstörenden Bilder aus Marseille ändern an diesem Befund nichts. Gewaltbereitschaft bei Fußballspielen ist ja nichts Neues. Dieser Sport scheint auf junge Männer, die Randale als eine Art von Freizeitentspannung begreifen, eine besondere Anziehung auszuüben - auch in Österreich.

Der Auftakt der Europameisterschaft in Frankreich ist aber nicht weniger schockierend, weil Krawalle sowieso zu erwarten waren. Die englischen Fans sind seit Jahrzehnten kaum für Zartheit und Höflichkeit bekannt. Englische Hooligans zogen schon 1998 eine Spur der Verwüstung durch Marseille, 2000 dann durch Charleroi. Das Pendeln zwischen Suff und Provokation, Grölen und Gewalt ist auch bei russischen Fans ein wohl bekanntes Phänomen, vor allem im eigenen Land.

Dass es zu diesem unfassbar brutalen Gewaltausbruch in Marseille kommen konnte, hat auch mit einer dritten Partei zu tun. Bei der französischen Polizei sind Beruhigen und Deeskalieren Fremdworte. Tränengas, Knüppel, Zuschlagen und Wasserwerfer sind die Methoden. Es gibt zahlreiche Augenzeugenberichte über gewalttätige Übergriffe der Beamten, denen bestenfalls eine gewissen Nervosität und Überlastung wegen der großen Angst vor Terroranschlägen zu Gute zu halten ist.

Die gefährlichste Zutat an diesem Wochenende aber war der Nationalismus. So und so schon giftig genug, wurde er zum Träger der Gewalt. Die Mär vom belagerten Vaterland, der draußen lauernden Bedrohung, der heldenhaften Gegenwehr und dem eigenen Land als Bollwerk bereiten den Boden. "Fuck off Europe", grölten die Engländer, "wir wählen alle Brexit". Russische Fans wiederum verhöhnten angeblich englische Flaggen. Der Angriff russischer Schläger auf den englischen Sektor im Stadion wurde zur heroischen Selbstverteidigung: "250 russische Fans schlugen eine Attacke von einigen Tausend Engländer zurück und zwangen sie zur Flucht", jubelte die staatliche russische Agentur Vesti laut "Guardian".

Nun ist Nationalismus blöderweise gerade hochmodern. In Ungarn, Kroatien, Polen, der Ukraine und der Türkei gibt es besonders blühende Varianten. Vielleicht sollte sich Frankreichs Staatsmacht doch eher auf Entspannung konzentrieren.

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