Erinnert sich noch jemand an den Anfang des Jahrzehnts? Die Schuldenkrise hielt die Länder der Euro-Peripherie fest im Griff. Griechenland, Portugal und Irland entgingen der Pleite nur, weil ihnen die Euro-Partner mit Milliarden halfen. Spanien taumelte dem gleichen Elend entgegen und drohte dabei erst Italien und in Folge die gesamte Währungsunion mit sich zu reißen.
Und Europas Politiker konnten sich nicht einigen, mit welchen Maßnahmen und mit wie viel Geld sie den Untergang der Schicksalsgemeinschaft verhindern wollten. Erst als Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), am 26. Juli 2012 ankündigte, er werde alles tun, um den Euro zu erhalten, fand der Spuk sein Ende.
In Deutschland war der Auftritt Draghis und das damit verkündete Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen, OMT, stets umstritten. Einigen Kritikern ging es um die Frage: Darf der EZB-Chef ohne Parlamentsbeschlüsse wirklich alles tun, um den Euro zu erhalten, oder verletzt er damit demokratische Mitbestimmungsrechte?
Die trügerische Hoffnung, Draghi Einhalt gebieten zu können
Andere – und das waren nicht wenige – ärgerten sich darüber, dass ein Italiener den Niedergang jener Währung stoppte, die es aus ihrer Sicht ohnehin nie hätte geben dürfen. Sie alle hofften, mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Draghi Einhalt gebieten zu können – und sind damit gescheitert.
Sie haben zu viel erwartet. Es überfordert selbst Deutschlands höchste Richter, wenn sie Jahre später politisch über die Entscheidung einer europäischen Institution richten sollen, die unter dem Eindruck einer bedrückenden wirtschaftlichen Dynamik getroffen wurde. Und die durch den Lauf der Ereignisse überholt ist. Draghis Anleihekaufprogramm OMT kam nie zum Einsatz.
Die EZB hat Nachfolgemaßnahmen erfunden, die das Überleben des Euro stützen sollen. Sie sind ebenso umstritten. Völlig zu Recht. Nur kann ein Gericht, ohne Betrachtung der möglicherweise katastrophalen volkswirtschaftlichen Schäden, juristisch fein abgewogen der EZB ein Bein stellen?
Nein. Denn auch das Verfassungsgericht lebt nicht im Elfenbeinturm. Der Gerichtssaal ist nicht der geeignete Ort zur Aufarbeitung der EZB-Krisenmaßnahmen – provoziert von einer damals wie heute untätigen Politik und den Finanzmärkten. Was Europa braucht, was Europas zunehmend euroskeptischere Bürger erwarten, ist ein politischer Streit über die Zukunft des Kontinents. Was will Europa sein? Was erwarten die Menschen von dieser Werte-Gemeinschaft? Unglücklicherweise wird diese Debatte nicht geführt.