Was taugt Deutschlands Integrationsgesetz?

Die große Koalition in Deutschland hat sich am Mittwoch auf einen Vorschlag für ein neues Integrationsgesetz geeinigt. Dieses soll Flüchtlingen den Zugang zu Arbeit und Bildung erleichtern, sieht aber auch Sanktionen bei Ablehnung von Integrationsangeboten sowie die Möglichkeit einer Residenzpflicht vor. Die deutsche Presse lässt kein gutes Haar an dem Vorschlag.

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Deutschlandfunk Kultur (DE) /

Unterstützung nur bei guter Bleibeperspektive

Einen grundlegenden Makel im Vorschlag der Koalition macht Deutschlandradio Kultur aus:

„[D]as ist die größte Schwäche des Gesetzes: die strenge, schematische Unterscheidung von Flüchtlingsgruppen je nach Bleibeperspektive. Der Gedanke ist klar: Wer nicht bleibt, braucht keine Ausbildungshilfe und keine Sprachkurse. Wie unbefriedigend der Entwurf das umsetzt, zeigt das Beispiel der Afghanen. Nur knapp der Hälfte wird hier Schutz zugesprochen. Sprachkurse bekommt deshalb erst einmal keiner von ihnen. Das ist nicht nur ungerecht im Einzelfall, es kann auch nicht im Interesse der Gesellschaft sein, die lange mit diesen Menschen leben wird.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Staat kann Integration nicht allein regeln

Auch Der Tagesspiegel hat ein grundsätzliches Problem mit dem neuen Gesetz:

„Es ist eine Illusion. Jedenfalls verstärkt es eine, nämlich die, dass Integration als Staatsaufgabe in guten Händen ist, dass ein zu Integrierender - Stichwort Leistungskürzung - nur mit Sanktionen zu bedrohen ist, um aus ihm einen Integrierten zu machen. Es ist keine politische Aufgabe, es ist eine gesellschaftliche und kulturelle Aufgabe zu schultern. Den Bürgern des Aufnahmelandes werden mit dem Gesetz richtigerweise keine Vorschriften gemacht. Aber sie sind es, die etwas zu leisten haben: die Fremden als ihre Nächsten anzunehmen. Wir sind hier in etwa dort, wo unser Gesetzgeber ist. Nicht mehr am Anfang, aber auch noch nicht viel weiter.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

So wird niemand integriert

Das neue deutsche Gesetz fußt auf einem verengten Begriff der Integration und verhindert diese sogar, kritisiert die linksliberale Süddeutsche Zeitung:

„Es konzentriert sich auf den Arbeitsmarkt. Über Schule und Schulsozialarbeit findet sich kein Wort; ebenso wenig über Vereine und Religionsgemeinschaften, die für die Integration so wichtig sind. Die Angebote für Integrationskurse müssten erweitert werden. ... Es ist ungut und unklug, dass man die Jugendlichen nach dem Aschenputtel-Prinzip sortiert: Diejenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, werden ausgebildet; diejenigen, die vermeintlich keine gute Bleibeperspektive haben, sollen herumhängen. ... [Die Wohnsitzauflage] ist erstens integrationsbehindernd; das ist zweitens für anerkannte Flüchtlinge und Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention rechtswidrig. Nach deren Artikel 26 haben Flüchtlinge das Recht, ihren Aufenthalt frei zu wählen.“

La Vanguardia (ES) /

Deutsche Politiker kriegen es auf die Reihe

Voller Bewunderung blickt hingegen die konservative Tageszeitung La Vanguardia auf das neue deutsche Integrationsgesetz:

„Wer schon bislang neidisch war, auf diese Fähigkeit [deutscher Politiker], im Interesse der Allgemeinheit Regierungskoalitionen zu schließen, hat dafür jetzt noch einen weiteren Grund: Die Koalitionspartner geben einer Million Menschen eine Perspektive, die quasi über Nacht gekommen sind, weil sie vor Kriegen und Misere flohen. Der gestern präsentierte Plan zeigt, dass die seit Ende des Zweiten Weltkriegs beispiellose Flüchtlingswelle mit gutem Grund Deutschland und nicht irgendeinen anderen Staat in Europa ansteuerte. Angela Merkel hat eine der wertvollsten Tugenden bewiesen: ihre Weitsicht über kurzfristige politische Ziele zu stellen.“