Corbyn bleibt Labour-Chef

Nach monatelangen Grabenkämpfen ist Jeremy Corbyn als Chef der Labour-Partei bestätigt worden. 61,8 Prozent der Parteimitglieder stimmten für Corbyn, der auch deshalb unter Druck geraten war, weil er nicht für einen Verbleib Großbritanniens in der EU geworben hatte. Kommentatoren glauben, dass Labour nun für lange Zeit geschwächt bleiben wird.

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Il Sole 24 Ore (IT) /

Kür Corbyns ist Todesstoß für Partei

Die radikal linken Ideen von Corbyn sind der Todesstoß für Labour und ruinieren die Demokratie in Großbritannien, bedauert Il Sole 24 Ore:

„Seit Samstag gehört das Vereinigte Königreich zu der peinlichen Familie der Ländern mit Einparteiensystem. Es befindet sich folglich in Gesellschaft mit so manch afrikanischer Diktatur. ... Das liegt an der Bestätigung von Jeremy Corbyn als Chef der Labour-Partei. Denn sie zeigt, dass der Grund für die Kür Corbyns vor einem Jahr nicht der Schock über die Wahlschlappe bei der Parlamentswahl unter der Führung von Ed Miliband war. Es war also kein Ausrutscher der Geschichte, dass an die Spitze der Schattenregierung der radikalste Labour-Politiker aller Zeiten kam. Sondern es war die bewusste Entscheidung der Militanten, politischen Selbstmord zu begehen. ... Seit Samstag hat sich Labour den Weg zur Regierung selbst versperrt.“

Phileleftheros (CY) /

Tories bekommen immer mehr Spielraum

Dass die Wahl Corbyns letztlich nur den Konservativen nutzt, prophezeit auch Phileleftheros:

„Corbyn hat wie nur wenige die Partei gespalten und deswegen erscheint der Versuch, Einheit zu schaffen, wie eine Herkulesaufgabe. ... Seine Ansichten gelten als veraltet und nicht realisierbar. Viele der Jugendlichen, die ihm ihre Stimme gaben, werden bei den Parlamentswahlen nicht an die Urnen gehen. Während die Labour-Partei versuchen wird, ihre Einzelteile wieder einzusammeln, werden die Konservativen viel Spielraum bekommen. ... Analysten glauben, dass die Tories bereits als Sieger der Parlamentswahl 2020 feststehen, wegen des Streits in der Opposition. Allerdings nur, wenn sie es schaffen, den Weg des Brexit ohne größere Stolperer zu verfolgen.“

The Irish Times (IE) /

Labour muss endlich Regierung Paroli bieten

Die zerstrittenen Flügel der Partei sollten nun an einem Strang ziehen und der Tory-Regierung auf die Finger klopfen, fordert The Irish Times:

„Labours innere Spaltungen haben dazu beigetragen, die breitere Wählerschaft von ihr zu entfremden. Einer neuen Umfrage vom Sonntag zufolge liegt die Partei 15 Prozentpunkte hinter den von Regierungschefin Theresa May geführten Konservativen. ... Nun da die Führungskrise auf absehbare Zeit gelöst ist, sollten die Parteiflügel ihren Fokus nach außen richten und darauf hinarbeiten, ihre Partei zu einer wirkungsvolleren und starken Oppositionspartei zu machen. Großbritannien braucht eine solche, um den Druck auf Premierministerin May aufrechtzuerhalten, damit diese ein Abkommen mit der EU aushandelt, das Großbritannien nach dem Brexit so eng wie möglich mit der EU verbindet.“

De Volkskrant (NL) /

Der sanfte Brexit ist vom Tisch

Diejenigen, die dafür kämpfen, Großbritanniens Bande mit der EU zu erhalten, haben es nun noch schwerer, betont De Volkskrant:

„Corbyn muss nun mit 172 unwilligen Fraktionskollegen Opposition führen, die leidenschaftliche Befürworter der britischen EU-Mitgliedschaft sind. Es wäre im Interesse Großbritanniens und auch der restlichen 27 EU-Mitglieder, wenn diese 172 auf einer Linie blieben und Premier Theresa May zu einem 'soft Brexit' zwängen. Aber das ist eine vergebliche Hoffnung. Ab heute hat die konservative Regierung keine effektive Opposition mehr. Das scheint bequem für Premier May zu sein. Aber die Tatsache, dass sowohl bei den Tories als auch bei Labour die Brexit-Befürworter das Sagen haben, schränkt ihren Verhandlungsspielraum mit der EU ein. Das ist tragisch für Theresa May als Befürworterin der britischen EU-Mitgliedschaft. Aber es ist vor allem tragisch für Europa.“

The Guardian (GB) /

Blairs Scheitern ließ linken Flügel erstarken

New Labour unter Ex-Premier Tony Blair hat die Wähler desillusioniert - so erklärt The Guardian die breite Unterstützung für den weit links stehenden Labourchef:

„Corbyns am stärksten ideologisch motivierte Gegner sollten sich die Zeit nehmen, über ihre eigenen Fehler nachzudenken. Weil es ihnen an einer schlüssigen und begeisternden Vision fehlte, ließen sie ein Vakuum zurück. Nun sind sie erbost, dass dieses gefüllt wurde. Als New Labour bei der Unterhauswahl 1997 triumphierte, befanden sind die Sozialdemokraten in ganz Westeuropa auf dem Vormarsch. Heute liegen die deutschen Sozialdemokraten, deren Chef eine Politik des Dritten Weges nach dem Vorbild Tony Blairs unterstützt, in den Umfragen bei 18 bis 20 Prozent. Die spanischen Sozialdemokraten haben einen telegenen Parteichef, doch sie verlieren Wähler an die radikale Linke. Wenn Labours rechter Flügel einen klaren Fahrplan zur Machtübernahme hätte, wäre er nicht in einem derart prekären Zustand.“

Der Standard (AT) /

Corbyns Haltung ist beachtlich

Jeremy Corbyn hat die Parteiführung verteidigt, ohne von seinen Positionen abzurücken, zeigt sich Der Standard beeindruckt:

„Die Intrigen haben nichts gebracht: Jeremy Corbyn wird die britische Labour-Partei weiterhin führen - nach dem Votum vom Samstag mit einem noch breiteren Mandat. … Dass sich der alte neue Parteichef über den Zuspruch freut, ist ihm nicht zu verübeln. Und dass er seine Grundsätze vertritt, ist löblich - unabhängig davon, ob man sie teilt. Wünschenswert wäre aber, dass er die Erfolgswelle nützt, um sich endlich klar von jenen zu distanzieren, die bisher auch zu seiner Klientel zählten: Antisemiten, die sich von seiner kritischen Israel-Politik angezogen fühlen. Und Fanatiker, die Gegner beschimpfen und bedrohen.“