Im Gedenken gespalten: Lettland und der 9. Mai

In Lettland feiern viele Russischstämmige groß das Ende des Zweiten Weltkriegs am 9. Mai, dem Tag der Befreiung durch die Rote Armee. Viele Letten lehnen dies jedoch ab. Denn der Tag bedeutete zwar das Ende der Nazi-Besatzung, markierte aber gleichzeitig den Beginn von 50 Jahren sowjetischer Herrschaft. Nachdenkliche Stimmen aus Lettland widmen sich der Frage, wie unterschiedlich Russen und Letten diesen Tag begehen und wie sich das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg wandelt.

Alle Zitate öffnen/schließen
Latvijas Avīze (LV) /

Eine Frage der Perspektive

Latvijas avīze vergleicht die unterschiedlichen Sichtweisen auf den 9. Mai, die in Moskau, die der Russischstämmigen in Lettland und die der Letten:

„In Moskau hat der Sieg von 1945 einen mystischen Glanz bekommen - das große Monster Nazi-Deutschland wurde nicht mehr von der Sowjetunion und dem sowjetischen Volk, sondern vom großen durchgeistigten Russland geschlagen. In Riga ist der 9. Mai in den letzten Jahren zu einer riesigen Party der russischen Gemeinde geworden. Die meisten sogenannten Veteranen des Zweiten Weltkriegs sind schon gestorben. Die Hunderttausenden, die sich am sowjetischen Siegesdenkmal in Riga versammeln, zeigen ihre Freude darüber, dass sie so viele in der lettischen Hauptstadt sind, dass der Rigaer Bürgermeister ihr Landsmann ist und dass man im Alltag auch gut ohne Lettischkenntnisse auskommen kann. Während die Letten der Auffassung sind, dass damals die eine Okkupation von der anderen abgelöst wurde.“

Diena (LV) /

Der Zweite Weltkrieg als Popkultur

Lettlands Premierminister Māris Kučinskis zeigt sich in Diena besorgt darüber, dass an den Zweiten Weltkrieg zunehmend oberflächlich und undifferenziert erinnert wird:

„Leider wird die Geschichte des Zweiten Weltkriegs langsam zur Popkultur - es gibt Computerspiele, Comics, Abenteuerfilme und viele andere Dinge, die unsere Jugendliche begeistern und die man immer wieder von vorne beginnen kann, indem man zum Beispiel auf 'Restart' drückt. Die Geschichte kennt aber keinen 'Restart'-Button. Die Geschichte erzählt uns, dass neben uns totalitäre und populistische Ideen aufkommen können. Es kann eine Ideologie entstehen, deren erster Schritt es ist, die Menschen einzuteilen in lebenswürdige und unwürdige Personen. Und deren nächster Schritt es ist, die zu vernichten, die die Ideologie als lebensunwert bezeichnet hat.“