US-Sanktionen gegen Europas Energiepolitik?

Nach dem Repräsentantenhaus hat sich nun auch der US-Senat mit großer Mehrheit für verschärfte Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Damit geht das entsprechende Gesetz zur Unterzeichnung an US-Präsident Donald Trump. Die EU-Kommission droht bereits mit Gegenmaßnahmen, sollte dieser das Gesetz unterzeichnen. Europas Medien betrachten die Entwicklungen mit Sorge.

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La Repubblica (IT) /

Trump in der Klemme

Für La Repubblica steckt Trump in einem Dilemma:

„Soll er die neuen Sanktionen, denen fast der gesamte Kongress zugestimmt hat, unterzeichnen oder nicht? Tut er es, unterschreibt er seine eigene Deklassierung. Legt er sein Veto ein, könnte dies zum Bumerang werden. Denn die Mehrheit, die sich gegen ihn gebildet hat, ist so stark, dass sie sein Nein annullieren könnte. Damit wäre das Veto aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur vergebens, sondern mit Blick auf Trumps Image auch noch kontraproduktiv. Trump hat zehn Tage Zeit, um sich zu entscheiden. Sein Schicksal scheint aber schon besiegelt.“

Lietuvos žinios (LT) /

Wer ist hier prorussisch?

Lietuvos žinios findet es aufschlussreich, welche Interessenlagen nun noch deutlicher zutage treten:

„Trump deutet an, dass er die Sanktionen unterschreiben wird. Es ist klar, dass dadurch auch Verträge des wichtigsten EU-Landes, Deutschlands, betroffen wären. Dem Land, das seit Jahren von Verstößen gegen die Menschenrechte in Russland spricht, aber dennoch sehr pragmatische Energie- und Wirtschaftsprojekte mit dem Kreml vorantreibt. Das Projekt Nord Stream untergräbt das Fundament der gemeinsamen westlichen geopolitischen Architektur und treibt einen Keil nicht nur zwischen die USA und Deutschland, sondern auch zwischen die USA und die EU, die Deutschland in Schutz nimmt.“

Novi list (HR) /

Altes gegen Trumpsches Europa

Novi list denkt über das Szenario nach, in dem die EU-Kommission Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA einsetzt und sich der Konflikt zuspitzt:

„Washington wird sich in dem Fall auf die Unterstützung der europäischen Staaten verlassen, die sich bisher einer deutsch-russischen Gas-Allianz vehement wiedersetzt haben - dabei handelt es sich um osteuropäische Staaten, angeführt von Polen. ... Es ist sicher kein Zufall, dass die meisten dieser Staaten, auf deren Unterstützung Washington hofft, in der Drei-Meeres-Initiative vereint sind. ... Kroatien wird sich entscheiden müssen, ob es dem europäischen Kern angehören will oder dem neuen Trumpschen Europa am Rand der EU. Zagreb hat in den letzten Wochen schizophrene Signale ausgesandt, es versucht wohl, auf zwei Stühlen gleichzeitig zu sitzen.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Mit der Ukraine hat das alles wenig zu tun

Bei den Sanktionen gegen Moskau geht es vor allem um wirtschaftliche Interessen, analysiert der Tages-Anzeiger:

„Auch die atmosphärisch ergiebigen Plaudereien zwischen Trump und Putin auf dem G-20-Gipfel konnten nicht verhindern, dass Russland nun an seiner empfindlichsten Stelle getroffen wird: Die US-Sanktionen gefährden russische Energieprojekte, also die wichtigste Branche für Wirtschaft und Staat. Das ist das Ende der Illusion, mit Trump werde alles leichter. Aber es gibt ja noch Europa. Ausgerechnet in der EU-Kommission springt Russland nun ein Verbündeter bei und droht den USA. Zu Recht wittern die Europäer hinter den Sanktionen auch amerikanische Energieinteressen, die wiederum ihre eigenen gefährden. Insofern geht es beim dreifachen Groll - aus Washington, Moskau, Brüssel - vor allem um Wirtschaftspolitik. Mit der Ukraine hat er wenig zu tun.“

Il Sole 24 Ore (IT) /

Ein Krieg, den niemand gewinnen wird

Vor dramatischen Folgen für die Energieindustrie in Europa warnt Il Sole 24 Ore:

„Es ist kein Geheimnis, dass die Vereinigten Staaten anstreben, in der Zukunft ihr Flüssigerdgas nach Europa zu verkaufen. Noch sind wir bei den ersten Maßnahmen, doch sollte das neue Paket der amerikanischen Sanktionen gegen Russland so umgesetzt werden, wie es konzipiert ist, würde die europäische Energieindustrie enormen Schaden erleiden. Es wäre ein Energie-Tsunami, der Milliarden-Projekten schaden könnte oder sie sogar versenken. ... Die europäischen Firmen stehen vor einem Dilemma: die Projekte fortsetzen und von den Sanktionen getroffen werden oder sich zurückziehen, um ihnen zu entgehen? Europa rüstet sich und bereitet mögliche Gegenmaßnahmen vor. Es droht ein Krieg, den niemand gewinnen wird.“

De Standaard (BE) /

Energie ist Europas wunder Punkt

Einen alten Konflikt innerhalb der EU sieht De Standaard wieder zu Tage treten:

„Wenn diese [acht vermutlich betroffenen Energie-]Projekte durch die amerikanischen Sanktionen gefährdet werden, ist Europa angewiesen auf amerikanisches Gas. ... In Europa reißt diese Frage alte Wunden auf. Die EU-Mitgliedstaaten sind schließlich tief gespalten über Nord Stream 2. Berlin ist ein großer Befürworter. ... Aber die baltischen und zentraleuropäischen Länder wollen die Amerikaner nicht verärgern, indem sie ein Projekt retten, das sie selbst rigoros ablehnen. Denn es erhöht ihrer Meinung nach Europas Abhängigkeit vom russischen Gas. ... Die Spaltung in dieser Frage schränkt die europäische Schlagkraft ein.“

Spiegel Online (DE) /

Warum Armut für Putin kein Risiko ist

Spiegel Online bezweifelt, dass es tatsächlich im Interesse Amerikas ist, wenn Russland in der Folge der Sanktionen in eine Krise stürzen würde:

„In den zehn Jahren nach Putins Amtsantritt hatte sich Russlands Bruttoinlandsprodukt fast verachtfacht. Damals entwickelte sich zum ersten Mal eine breitere bürgerliche Mittelschicht, vor allem in den großen Städten. In den Jahren 2011 und 2012 … rebellierte in Moskau und Sankt Petersburg die sich gerade erst entwickelnde Mittelschicht. Millionen Russen hatten damals - ihr materielles Überleben schien ihnen endlich einmal gesichert - den Kopf frei für neue Ziele. In Umfragen gaben sie immer häufiger an, wie sehr sie der Filz in der Politik störe, das schlechte Bildungswesen, die Lügen im Fernsehen. Der wachsende Wohlstand und eine mündiger werdende Bevölkerung ist für Putin ein Risiko, nicht Armut.“