Katalonien und Madrid auf Konfrontationskurs

In Spanien geht die Zentralregierung immer schärfer gegen katalonische Separatisten vor. Am heutigen Mittwoch hat die Militärpolizei zwölf höhere Beamte der Regionalregierung festgenommen. Derweil erheben immer mehr katalonische Politiker ihre Stimme für das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober. In anderen Regionen Spaniens demonstrierten viele Menschen ihre Unterstützung. Ist jede Hoffnung auf eine Einigung vergebens?

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El Periódico de Catalunya (ES) /

Fronten nicht so klar wie es scheint

Die sozialistischen Abgeordneten im spanischen Kongress haben am Dienstag einer gemeinsamen Erklärung von Regierung und Opposition gegen das Referendum in Katalonien die Unterstützung versagt. El Periódico de Catalunya sieht die Regierung unter Druck und hofft auf neuen Handlungsspielraum:

„Versteht man die aktuelle Krise als Zusammenprall zwischen Institutionen, Rechtmäßigkeit und Souveränität, sind die Fronten klar. Weniger klar sind sie, wenn man sie als Neuverhandlung der Beziehungen zwischen Katalonien und dem spanischen Staat betrachtet. Der Bruch des Blocks im Kongress, der für die strikte Einhaltung der Verfassung ist, und die Demonstration in Madrid für das Abstimmungsrecht der Katalanen zeigen, dass es innerhalb des gesetzlichen und institutionellen Rahmens und jenseits der politischen Starre noch Handlungsspielraum gibt.“

taz, die tageszeitung (DE) /

EU ignoriert Menschenrechtsverletzung

Spanien geht mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Unabhängigkeitsbewegung vor, kritisiert der Spanien-Korrespondent der taz, Reiner Wandler:

„Gegen mehr als 700 Bürgermeister, Parlamentarier und die Autonomieregierung wird ermittelt wegen Delikten, die mit Haftstrafen enden können. Druckereien und Redaktionen werden durchsucht, Plakate und Flugblätter beschlagnahmt, die Adressen derer aufgenommen, die Infomaterial für den 1. Oktober verteilen oder Plakate kleben. Selbst im restlichen Land werden Veranstaltungen zum Thema Katalonien verboten. Allein die Debatte wird damit kriminalisiert. ... Und die Europäische Union schaut weg. Es handele sich um einen innerspanischen Konflikt, so die Begründung. Dann aber stellt sich die Frage, mit welchem Recht sich Brüssel in Polen und Ungarn einmischt. Bürger- und Menschenrechte gelten überall und dürfen nicht konjunkturellen politischen Interessen untergeordnet werden.“

Diena (LV) /

Katalanen brauchen nicht zur Wahl zu gehen

Die Katalanen haben derzeit keine Chance auf ihre Unabhängigkeit, analysiert Diena:

„In einer Situation, in der sich die spanische Regierung und das Parlament fest an die Traditionen der Könige und Diktatoren halten und die Freilassung der Katalanen ablehnen, können wir schon jetzt zu 100 Prozent sicher sein, dass die Geschichte für die Katalanen nicht gut ausgehen wird. Wir müssen auch die Tatsache in Betracht ziehen, dass die Katalanen wenig Unterstützung haben, auch nicht in den Fluren der Europäischen Union. Die EU wie auch die Großmächte des vereinigten Europas kämpfen in diesem Augenblick um die Zentralisierung der Macht und die Einheit der ganzen EU. Deshalb werden die katalanischen Aktivitäten nur als ein unerwünschter Präzedenzfall wahrgenommen.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Legale Abstimmung wagen

Um die Eskalation zu verhindern, muss der spanische Premier Rajoy den Separatisten tatsächlich ein Referendum anbieten, meint der Tagesspiegel, und zwar

„ein legales nach dem Muster des Votums über eine Unabhängigkeit Schottlands 2014, die dann ausblieb. In Umfragen bekommen auch die katalanischen Separatisten keine Mehrheit. Rajoy könnte ein allseits akzeptiertes Referendum wagen. Tut er es nicht, veranstaltet Puigdemont am 1. Oktober die illegale Abstimmung. Ein riskantes Abenteuer. Für Katalonien, für Spanien, für Europa. Noch haben alle Beteiligten zwei Wochen Zeit. Und die EU könnte überlegen, ob sie nicht diskret versucht, eine späte Verständigung zu befördern.“

La Vanguardia (ES) /

Ein Kompromiss ist möglich

Der ehemalige Präsident des EU-Parlaments, der Katalane Josep Borrell, hat ein Buch zur katalanischen Frage veröffentlicht, auf das sich La Vanguardia-Chefredakteur Màrius Carol in einem Leitartikel bezieht:

„Borrell glaubt an einen Kompromiss: Die Separatisten könnten das Referendum am 1. Oktober aufgeben. Dafür würde der Dialog wieder aufgenommen, würden der Informationsfluss verbessert und der gegenseitige Respekt wiederhergestellt, und würden Katalonien Steuer- und Finanzvorteile zugestanden. Und einige vom Verfassungsgericht kassierte Kompetenzen des Regionalstatus würden wieder zurückgegeben. Es gibt Politiker des Partido Popular, die das für sinnvoll halten, aber sie sagen es nur leise. Tempus fugit.“

Dilema Veche (RO) /

Nicht nur Spanien würde Barcelona abweisen

Wie sich der Rest der EU gegenüber einem unabhängigen Katalonien verhalten würde, überlegt die Wochenzeitung Dilema Veche:

„Die Regierenden in Barcelona sagen, sie würden sich umgehend der EU anschließen und müssten auch nicht auf den Euro verzichten, solange die Provinz ein größeres Bruttoinlandsprodukt aufweise als Griechenland und ein fast ebenso hohes wie Finnland. Mit anderen Worten: Auf ein solches Mitglied würde die EU nicht verzichten. Politisch gesehen muss aber ein neues Mitglied in der EU einstimmig akzeptiert werden. Über die mögliche Position von Madrid müssen wir hier gar nicht diskutieren, doch Spanien wird mit Sicherheit nicht das einzige Land sein, dass Barcelona die Tür vor der Nase zuschlägt. Es könnten sich auch andere Mitgliedsstaaten dieser Position anschließen, die in den eigenen Reihen größere oder kleinere Unabhängigkeitsbestrebungen haben.“

Diário de Notícias (PT) /

Kein Recht auf Selbstbestimmung

Das Referendum in Katalonien ist ein Verbrechen, führt der Kolumnist Ferreira Fernandes bei Diário de Notícias aus:

„Das Recht auf Selbstbestimmung in Katalonien existiert nicht. ... Sollte die Region doch unabhängig werden, dann wäre dies ein Angriff auf die historische, kulturelle und wirtschaftliche Gemeinschaft, deren Teil Katalonien seit Jahrhunderten ist. Abgesehen vom Rest Spaniens würde dies für 49 Prozent (oder eben doch nur 45 oder 40 Prozent) der Katalanen - die gegen die Unabhängigkeit stimmen - bedeuten, dass sie einfach von ihrem bisherigen Leben und ihrer Erinnerung abgetrennt würden. Und die 51 Prozent (oder ein wenig mehr) der Gewinner dieses 'Pseudo-Freiheitskampfs' wären sich ihres Verbrechens gar nicht bewusst.“

El País (ES) /

Selbstverstümmelung verhindern

Die EU könnte die Abspaltung Kataloniens von Spanien verhindern, meint El País:

„Katalonien ist durch den Einsatz der Katalanen groß geworden. Und durch die Einbindung in ein freies und angesehenes Spanien. Wird die Demokratie im Land in Frage gestellt, müsste die EU das Land unter die Lupe nehmen, wie in Polen oder Ungarn geschehen. Die EU würde eine Abspaltung verbieten, die (erstmals!) die seit 1945 geltenden Grenzen der EU verändern würde (sieht man von den Veränderungen durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens ab). Nie war Katalonien so erfolgreich wie jetzt. Und es würde auch nicht dadurch wachsen, sollte es sich mit einer Selbstverstümmelung als wichtiger Teil von Europa abspalten.“

La Vanguardia (ES) /

Hoffentlich siegt am Ende die Vernunft

Mit Sorge blickt der Chefredakteur von La Vanguardia, Màrius Carol, in die nahe Zukunft:

„Nachdem die Mehrheit im Regionalparlament die Gesetze zum Abspaltungsreferendum verabschiedet hatte, erhöhte sich dieses Jahr auch der Wetteinsatz für die Demo zum Nationalfeiertag. Der Demo-Aufruf galt als Werbung für mehr Ja-Stimmen für die Unabhängigkeit am 1. Oktober bei einem Referendum, das von der Zentralregierung vor dem Verfassungsgericht angefochten wird, während die Staatsanwaltschaft alle Mitglieder der Regionalregierung vor Gericht stellt. Hier wird ein politisches Problem vor Gericht ausgetragen. Die Bürger auf der Straße haben den Unabhängigkeitstag als friedliches Fest erlebt. Aber am Horizont sieht man nur wenige lächelnde Gesichter und zu viele Drohungen. Hoffentlich setzt sich am Ende die politische Vernunft durch.“

Wiener Zeitung (AT) /

EU muss Nationalstaaten überwinden

Nationalstaaten als Grundlage und Entscheidungsträger der EU sind nicht mehr zeitgemäß, findet die Wiener Zeitung:

„Nun gibt es - als Folge des Brexit - die immer stärker diskutierte Idee einer europäischen Staatsbürgerschaft. Sie würde die Freiheit des Personenverkehrs, eine Säule der EU, erheblich erleichtern. Damit gehen aber auch sozial- und steuerpolitische Bestimmungen einher, die überall gelten und nicht nur in einem Nationalstaat. Auch braucht es dann einen Finanzausgleich, der bestehende Körperschaften ihrer Macht beraubt. Die Überwindung der Nationalstaaten, die meist viel jünger sind als die meisten Regionen, die nun nach Selbständigkeit schreien, würde Europa stärken, nach innen und nach außen.“