SPD vor Bundestagswahl im Umfragetief

Weniger als eine Woche vor der Bundestagswahl schwankt die SPD in den Umfragen zwischen 20 und 22 Prozent und stand damit seit der Nominierung von Martin Schulz nie schlechter da. Kommentatoren blicken auf die Schwächen des Kanzlerkandidaten und analysieren, warum die Sozialdemokratie europaweit derzeit keine Wahlen gewinnt.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Schulz spielte einzigen Trumpf nicht aus

Martin Schulz hat im Wahlkampf einen verhängnisvollen Fehler gemacht, analysiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Er wollte plötzlich nicht mehr der gestählte Europäer sein, sondern der nette Mann von nebenan, der die Sorgen seiner Nachbarn kennt. Elf Jahre lang Bürgermeister von Würselen - das schleuderte Schulz jedem entgegen, der ihn auf seine mangelnde Regierungserfahrung ansprach. … Als Europapolitiker hatte Schulz etwas vorzuweisen, er spielte jahrelang auf Augenhöhe mit der Kanzlerin. An sein Wirken in Würselen vor drei Jahrzehnten konnte sich dagegen niemand erinnern. ... Die Bewerbung von Martin Schulz war ein Experiment. Erstmals versuchte ein Europapolitiker, das Kanzleramt zu erobern. Zugegeben: Die Chancen standen von vornherein nicht besonders gut, das lag nicht an ihm. Aber seinen besten, letztlich einzigen Trumpf stecken zu lassen, das war seine Entscheidung.“

Jyllands-Posten (DK) /

Schwere Zeiten für Sozialdemokraten

Den Sozialdemokraten in ganz Europa fehlt es an einer Strategie, mit der sie die Wähler gewinnen können, stellt Jyllands-Posten fest:

„Sollen sie auf die Wähler setzen, die sich von den Parteien abwenden und soziale Empörung mit Widerstand gegen Einwanderung und EU kombinieren? Oder sollen sie sich davon klar distanzieren und eine ganz andere Richtung einschlagen, zum Beispiel weiter nach links mit dem Risiko, als wirtschaftlich unverantwortlich zu gelten? ... Norwegen ist ein Beispiel, das für ganz Europa gelten kann: Wenn die Konservativen sich als verlässliche Verwalter des Wohlfahrtsstaats zeigen, können die Sozialdemokraten nicht viel machen. ... In Deutschland kämpft Martin Schulz darum, sich aus der Umarmung der [konservativen Koalitionspartner] CDU/CSU zu befreien.“

ABC (ES) /

Europa blickt gebannt nach Deutschland

Europa sorgt sich um die voraussichtlichen Verlierer der Wahl, da ihr Abschneiden bestimmt, wie viel Einfluss die national-konservative AfD künftig haben wird, analysiert ABC:

„Die europäische Agenda hängt zu einem großen Teil von der Bundestagswahl ab. Nicht weil irgendjemand an einem erneuten Sieg von Kanzlerin Merkel zweifelt, sondern weil man auf die Folgen ihres vorhersehbaren Siegs für die anderen Parteien schaut. ... Falls die Populisten und Demagogen der AfD mit Macht in den Bundestag einziehen, könnten sie zur wahren Opposition werden, sollten die Sozialdemokraten weiter Teil der Regierungskoalition bleiben. Die Kanzlerin scheint jedoch dazu zu neigen, Liberalen und Grünen einen Regierungspakt anzubieten.“

Der Standard (AT) /

Weiterkämpfen bis zur letzten Minute

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist in einer noch schwierigeren Lage als der sozialdemokratische Bewerber Peer Steinbrück im Jahr 2013, analysiert Der Standard:

„Bei Steinbrück war klar: Wird er nicht Kanzler, dann ist er weg vom Berliner Fenster und widmet sich als Privatier seinen Vorträgen. Er war ja 'nur' Kanzlerkandidat, ein Ministeramt war ihm zu gering, und die Genossen haben ihn ohnehin nicht besonders gern gemocht. Schulz kann sich nach dem 24. September nicht so einfach verabschieden. Er ist auch noch SPD-Vorsitzender, und zwar jener, der im März mit 100 Prozent Zustimmung gewählt wurde. Damit wurde ihm eine große Verpflichtung auferlegt, und bei Parteivorsitzenden und ihren Mitgliedern gilt, woran auch bei der kirchlichen Eheschließung erinnert wird: in guten wie in schlechten Zeiten. Es heißt für Schulz auf der Zielgeraden also tatsächlich: weiterkämpfen bis zur letzten Minute.“