Der Papst empfängt Erdoğan

Das Treffen zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Papst Franziskus am Montag im Vatikan wird in verschiedener Hinsicht als besonders angesehen: Fast 60 Jahre lang hatte kein türkischer Präsident den Papst besucht. Außerdem waren die diplomatischen Beziehungen beider Seiten gerade in den letzten Jahren angespannt. Wieviel Potential steckt in ihrer jüngsten Begegnung?

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ABC (ES) /

Chance auf einen Neuanfang

Erdoğans Besuch beim Papst kann einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen Ankara und dem Vatikan markieren, kommentiert ABC:

„Das Treffen dauerte fast eine Stunde, länger als gewöhnlich. ... Das Gespräch drehte sich um Jerusalem, die von den USA als Hauptstadt Israels anerkannte Heilige Stadt. Für die Türkei war diese Anerkennung ein Verstoß gegen internationales Recht. Erdoğan will Jerusalems 'Status Quo' aufrechterhalten und stimmt hierin mit dem Vatikan überein. Ankara und Rom scheinen ihre Entfremdung zu überwinden, die 2015 begann, als der Papst in einer Rede vom 'Völkermord an den Armeniern' durch die Türken im Ersten Weltkrieg sprach. Worte, die Erdoğan, der diesen Holocaust leugnet, als 'Dummheiten' und 'Wahnvorstellungen' abtat.“

Karar (TR) /

Zeit für ein Ende der Verschwörungstheorien

Und Karar hofft gar, dass das Treffen wegweisend sein kann für bessere Beziehungen auch zur EU:

„Nachdem man jetzt so gute Beziehungen zum Papst aufgebaut hat, wäre es nur richtig, auch die EU nicht mehr als 'Kreuzritter' oder 'Christliche Union' zu bezeichnen. Nicht bloß aus Höflichkeit, sondern weil Europa, das zu 50 Prozent aus Atheisten besteht, nicht auf Kreuzzug ist. Und weil die Welt kein ewiger Kriegsschauplatz der Religionen ist. Kurz gesagt: Angesichts dieses warmherzigen Vatikan-Besuchs können wir ruhigen Gewissens die Kreuzritter der globalen Allianz, die sich unseren Verschwörungstheorien zufolge gegen uns verbündet haben, aus den Köpfen streichen. Während der Amtszeit dieses Papstes zumindest ist kein Kreuzzug am Horizont zu erkennen.“

Corriere della Sera (IT) /

Ordentliche Schelte durch den Papst

Als weit weniger warmherzig empfand Corriere della Sera das Treffen:

„Freundliches Lächeln erntete Erdoğan bei seinem Besuch nur wenig, weder von Franziskus noch von unserem Staatspräsidenten und unserem Regierungschef. Die Heuchelei, die häufig Teil offizieller Besuche ist, wich einem kühlen diplomatischen Protokoll. … Der Papst hat indes gut daran getan, Erdoğan eine Medaille mit einem Friedensengel zu schenken, 'der den Dämon des Kriegs besiegt' [wie der Papst erklärte]. Ein Geschenk mit höchster Symbolkraft. Der Sultan hatte versucht, sich mit einem Loblied auf die gemeinsame Haltung in der Jerusalemfrage beim Papst einzuschmeicheln. Doch er musste sich offene Worte über Menschenrechtsverletzungen und die Bombenangriffe auf syrische Kurden in Afrin anhören.“