Italien kurz vor Regierung Lega - Cinque Stelle

Die Regierungsbildung in Italien zieht sich weiter hin. Zwar haben sich die rechtsnationale Lega und die Protestbewegung Movimento Cinque Stelle nach eigenen Angaben im Grundsatz auf ein Regierungsprogramm verständigt, doch einen Kandidaten für den Premier schlugen sie am Montag dann doch nicht vor. Stattdessen baten sie Präsident Sergio Mattarella um mehr Zeit. Kopfschütteln bei den Kommentatoren.

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Delo (SI) /

Sinnlose Phrasen, leere Hände

Delo macht den beiden Parteichefs Matteo Salvini und Luigi Di Maio angesichts der schwierigen Regierungsbildung große Vorwürfe:

„Mehr als zwei Monate nach der Parlamentswahl sind Movimento Cinque Stelle und Lega gestern wieder mit leeren Händen in den Quirinalspalast gekommen. Sie haben nicht bekanntgegeben, wen sie für den Posten des Premiers vorschlagen. Und das, obwohl Matteo Salvini und Luigi Di Maio am Wochenende noch sagten, sie hätten in den vergangenen zwei Tagen mehr besprochen, als in den vergangenen zehn Wochen. Doch ihr aufgeblasenes Vokabular und ihre sinnlosen Phrasen haben von Anfang an Zweifel geweckt. Kann diese Geschichte überhaupt gut enden? In der Demokratie zählt Qualität und nicht Quantität. In diesem Fall aber haben wir es mit zwei einfachen und inkompetenten Politikern zu tun, denen es eigentlich nicht um die Regierung, sondern um die Macht geht.“

Dagens Nyheter (SE) /

Populistischer Experimentalworkshop

Dagens Nyheter sieht die künftige italienische Regierung auf Konfrontationskurs:

„Die Party mag populär sein - aber wie sie bezahlt werden soll, weiß keiner. Italiens Schulden belaufen sich auf mehr als 130 Prozent des BIP und das bereits schwache Wachstum des Landes verlangsamt sich. ... Eine Konfrontation mit Brüssel und der Realität ist zu erwarten. Die Finanzmärkte sind bisher ruhig geblieben, werden aber früher oder später reagieren. Die Vorstellungen der Lega von einer Abschiebung von mehreren hunderttausend Migranten sind kaum umsetzbar. Aber die osteuropäische Anti-Flüchtlingsfront dehnt sich jetzt nach Süden aus. Italien ist eines der Gründungsländer der EU. Die Tatsache, dass es zu einem populistischen Experimentalworkshop wird, verheißt nichts Gutes.“

Corriere del Ticino (CH) /

Gefahr der Inkompetenz

Angesichts seines Schuldenbergs braucht Italien unbedingt fähige Leute in der Regierung, zeigt sich Ferruccio De Bortoli in Corriere del Ticino beunruhigt:

„Wir wissen nicht, ob diese Überlegungen [zu Italiens Finanzen] bei der Ausarbeitung des Vertrags der 'Regierung des Wandels' aus Lega und Cinque Stelle eine Rolle gespielt haben. Doch sicherlich sind sie die größte Sorge des Staatspräsidenten. Sergio Mattarella wird seine Vorrechte deshalb vor allem bei der Wahl des Premiers geltend machen. Dieser darf kein einfacher Sprecher oder Delegierter sein, der die Befehle der beiden Hauptakteure, Luigi Di Maio und Matteo Salvini, ausführt. Und Mattarella wird auch bei der Besetzung der Schlüsselpositionen (Außen- und vor allem Wirtschaftsministerium) nicht schweigen. ... Doch die Gefahr, dass inkompetente Neulinge ins Amt kommen, ist hoch.“

De Standaard (BE) /

Wer sich an den Status quo klammert, verliert

Als Menetekel für die EU sieht De Standaard die Entwicklungen in Italien:

„Emmanuel Macron, der Anführer der Euro-Freunde, muss sich ziemlich einsam fühlen. Seine auserkorene Verbündete Angela Merkel ist im eigenen Land geschwächt und macht einen wenig kämpferischen Eindruck. Stattdessen führt inzwischen der niederländische Premier Mark Rutte eine Gruppe von Ländern an, die für mehr Euro-Realismus plädieren. ... Doch in der Brüsseler Blase scheint das immer noch nicht angekommen zu sein. Anstatt nun innezuhalten und gründlich nachzudenken, warum immer mehr Bürger sich von der europäischen Politik abwenden, halten viele Funktionäre ängstlich an den alten Rezepten fest. ... Sich krampfhaft an den Status quo zu klammern, kann aber eine gefährliche politische Entscheidung sein. Das hat das italienische Establishment selbst erfahren.“

888.hu (HU) /

Der nächste Nagel im Sarg der EU

Eine Regierung aus Lega und Movimento Cinque Stelle wäre ein Albtraum für Brüssel, meint das regierungsnahe Portal 888.hu:

„Das Movimento Cinque Stelle hat unter anderem ein Grundeinkommen versprochen, das an die Staatsbürgerschaft gekoppelt sein soll. ... Die von Matteo Salvini geführte Lega versprach, die Steuern zu senken, eine Rentenreform durchzuführen und die Ausweisung illegaler Einwanderer zu forcieren. ... Dass beide Parteien kurz vor der Einigung auf eine gemeinsame Regierung stehen, ist ein weiterer Nagel in den Sarg Brüssels. Denn in Italien könnte so erneut eine euroskeptische und einwanderungsfeindliche Macht geboren werden.“

La Stampa (IT) /

Mattarella beruhigt besorgtes Europa

Italiens Präsident Mattarella hat die Chefs der möglichen Koalitionsparteien gemahnt, im Geiste Europas zu handeln. Für La Stampa sind dies weise gewählte Worte:

„Salvini wird wenig erfreut sein. ... Dabei sollte er dem Staatschef dankbar sein, nicht nur für diese Empfehlung. Sondern auch für dessen Bemühungen, in diesen Stunden die überraschten europäischen Partner zu beruhigen, die sichtlich besorgt sind über die mögliche Geburt einer souveränistischen Regierung. Die Worte Mattarellas unterstreichen nämlich eines der Hauptprobleme des Tandems Salvini-Di Maio: Die Beziehung zur EU. ... Der rechtzeitige Hinweis kann also der möglichen Regierung nur helfen, den richtigen Kurs einzuhalten. Noch kann man sagen, dass die Initiative des Staatschefs aus dem Rahmen falle. Doch wer das behauptet, tut so, als kenne er die Rolle und die Pflichten des Garanten der nationalen Einheit nicht.“

Corriere del Ticino (CH) /

Regierung paralleler Populismen

Was eine Regierung aus Lega und Movimento Cinque Stelle bedeutet, analysiert Corriere del Ticino:

„Parallele Populismen werden an der Regierung sein. Populismus ist dabei nicht im abwertenden Sinne gemeint, sondern im beschreibenden: Populistisch ist eine Bewegung, die das Volk als homogene Entität, ohne divergierende Interessen, sieht. Ein Volk, das immer Recht hat, in all seinen Forderungen, angeblich übermannt von nicht weiter definierten dunklen Mächten (Elite, Establishment) und das an den Lippen seines Chefs hängt, als wäre er heilig. Die Populismen des Movimento Cinque Stelle und der Lega haben hohe Erwartungen geweckt. Sie werden kostspielige Reformen vorschlagen. Sie sind Anti-Euro- und Anti-EU-Souveränisten. Sie wollen ein neues Italien. Wir werden sehen, wie das in der Praxis aussieht.“