Attacke in Lüttich: Offener Vollzug in der Kritik

Nachdem ein Gefängnisfreigänger in der Innenstadt von Lüttich zwei Polizistinnen und einen Mann erschossen hat, wird in Belgien darüber diskutiert, ob der offene Vollzug abgeschafft werden solle. Der mutmaßliche Täter hatte sich im Gefängnis womöglich islamistisch radikalisiert. Kommentatoren fordern indes mehr Maßnahmen zur Resozialisierung von Gefängnisinsassen - wozu auch Freigang gehört.

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Le Vif / L'Express (BE) /

Freigang ist im Interesse der Gesellschaft

Die Kammer der französisch- und deutschsprachigen Anwaltschaften Belgiens Avocats.be plädiert in Le Vif/L'Express für die Beibehaltung der Freigangsregelung:

„Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Vollzugslockerungen von den Entscheidungsträgern (den Leitern der Haftanstalten, den Psychologen, den Sozialarbeitern und der Gefängnisverwaltung) gut durchdacht wurden. ... Es liegt im Interesse der gesamten Gesellschaft, ihr Möglichstes dafür zu tun, um die Rückkehr derer vorzubereiten, die sich von ihr entfernt haben. Eine Verweigerung dieses wesentlichen Rechts wäre ein massiver Widerspruch in sich. Denn er hätte zur Folge, dass Menschen ohne Perspektive geschaffen würden, die die Flucht in die Gewalt und die endgültige Ablehnung der Regeln des gesellschaftlichen Lebens als einzigen Ausweg betrachten würden. Es würde also genau das passieren, was wir eigentlich verhindern wollen.“

De Morgen (BE) /

Gefängnisse sind Brutstätten der Radikalisierung

Für De Morgen geht die Debatte über das Gefängniswesen in Belgien in die falsche Richtung:

„Unsere Gefängnisse bereiten Menschen unzureichend auf einen Neuanfang vor. Im Gegenteil: Sie sind Brutstätten von Radikalisierung, Sucht, Revanchismus und Bandenstrukturen. Kein Wunder, dass die Versuche zur Reintegration schief laufen können. ... Und damit kommen wir zum Gefängnis-Paradox: In einer verständlichen Reaktion auf die Gräuel in Lüttich wird der Ruf nach einer Politik lauter, die bewirken wird, dass es noch mehr menschliche Zeitbomben hinter Gittern gibt. Die rationale Empfehlung, mehr Mittel für die Haftanstalten und die Reintegration bereitzustellen, hat keine Chance gegen den emotionalen Willen, härter zu strafen.“

Le Quotidien (LU) /

Angst macht sich in der Gesellschaft breit

Viele Menschen fühlen sich angesichts der zunehmend bevorstehenden Haftentlassungen von früheren IS-Kämpfern ohnmächtig, mahnt Le Quotidien:

„Die Situation lässt einen nicht unberührt, auch wenn dieser Wiederholungstäter 'bereits rund zwanzigmal Freigang erhalten hatte und dies immer gut verlaufen war', wie der belgische Justizminister Koen Geens von [der Nachrichtenagentur] Belga zitiert wurde. Seit einigen Jahren schon verurteilt die Justiz mehrerer europäischer Länder Terroristen, die Attentate planten und die für den Islamischen Staat gekämpft haben. Einige dieser Radikalisierten stehen nun vor ihrer Entlassung, insbesondere in Frankreich. Das löst in der Bevölkerung Besorgnis aus. Es entstehen Ängste und Misstrauen, die unsere Gesellschaften tiefgreifend verändern könnten.“