Kostenloser Nahverkehr in Estland: Eine gute Idee?

Seit dem 1. Juli können Menschen in Estland kostenlos mit Bus und Bahn fahren. Was in Tallinn bereits seit 2013 möglich ist, wurde nun auf das ganze Land ausgeweitet - bis auf vier Landkreise. Laut Wirtschaftsministerin Simson soll der Gratisverkehr es vor allem Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen erleichtern, mobil zu sein. Estlands Presse kann dem allerdings nichts abgewinnen.

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Õhtuleht (EE) /

Unsinnig verschwendetes Geld

Für Õhtuleht ist der kostenlose Nahverkehr in Estland nichts weiter als ein teures Geschenk an die Wähler:

„Am meisten kann sich Wirtschaftsministerin Kadri Simson freuen, an deren Wahlkampf sich die Passagiere unbewusst beteiligen. Sie braucht sich auch nicht um die vier Regionen kümmern, die den kostenlosen Nahverkehr jetzt noch nicht eingeführt haben. Denn da er nun in den meisten Regionen gilt, kann man sich vorstellen, wie groß der Druck auf die vier sein wird, das Modell zu übernehmen. Die Kritiker werden erst dann gehört werden, wenn genug Menschen begreifen, dass die Millionen, die verschwendet werden, es nicht wert sind: der Fahrplan ist weiterhin zu unregelmäßig, die Haltestelle ist nicht näher ans Haus gerückt, der Bus ist überfüllt.“

Postimees (EE) /

Das Märchen von den kostenlosen Dingen

Auch Postimees findet, dass das Geld für kostenlosen Nahverkehr falsch eingesetzt wird:

„Es stimmt, dass einige Hilfsbedürftige davon profitieren. Aber dadurch werden viele vernünftigere Investitionen ausbleiben. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Experten diese Idee nicht gutheißen und die Leute auf dem Land eher eine engere Taktung und bessere Straßen brauchen. Wir glauben, dass auch künftige Regierungen dieses populistische Vorhaben nicht mehr anzutasten wagen. Die politische Kultur hat wieder gelitten und das ist schlecht. Denn obwohl die Idee der Ministerin mit der Realität wenig zu tun hat, hat sie es geschafft, diese mit Tricks durchzusetzen. ... Im kommenden Jahr sind Wahlen und die Politiker müssen wieder jene Stimmen einfangen, die noch an das Märchen von kostenlosen Dingen glauben.“