Fall Skripal: Wer glaubt an die Touristen-Story?

Der Auftritt der beiden von London in der Skripal-Affäre verdächtigten Russen im kremltreuen Sender Russia Today erregt weiter die Gemüter. Die Aussage, sie wären nur als Touristen nach Salisbury gereist stößt einigen Kommentatoren bitter auf. Andere finden es bemerkenswert, dass sich selbst die Chefredakteurin von Russia Today offensichtlich keinen Bären aufbinden lassen wollte.

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Snob (RU) /

Selbst die Interviewerin ertrug es nur mit Ironie

Schriftsteller Dmitri Bykow widmet sich auf Snob der RT-Chefredakteurin, die das Interview führte - und kommt zu dem Schluss, dass sie sich von einem befohlenen Laientheater distanziert hat:

„Margarita Simonjan hat mit allen Mitteln ein deutlich ironisches Verhältnis zu ihren Gesprächspartnern und deren Version des Geschehens gezeigt. ... So benimmt sich kein Mitarbeiter eines Staatssenders. So benimmt sich ein Mensch, der genau sieht, dass das Niveau der Unprofessionalität auf allen Ebenen die kritische Marke erreicht hat und das System wackelt. Ein Mensch, der nicht mehr will, dass man ihn ausnutzt, nur weil er sich einst mit dieser Ausnutzung unter anderen Umständen einverstanden erklärt hat. Ein Mensch, der einverstanden ist, für Geld und Status ein ideologischer Kämpfer zu sein - aber nicht unterschrieben hat, ein Idiot zu sein.“

Ilta-Sanomat (FI) /

Todbringender ”Tourismus”

Leider lässt sich über die skurrile Geschichte der Reise nach Salisbury nicht lachen, meint Ilta-Sanomat:

„Der russische 'Tourismus' ist gefährlich, ihm haftet Leichengeruch an. Diese 'Touristen' kämpfen und sterben in der Ukraine, in der Aufständischenregion Donbass. ... Dort haben sie viel Reisegepäck: auf Ketten fahrende Geschütze, gepanzerte Fahrzeuge, Raketen und neue Systeme der elektronischen Kriegsführung. … 'Touristen', die nicht die Hoheitsabzeichen der Streitkräfte der Russischen Föderation trugen, erschienen im Herbst 2014 auf der Krim-Halbinsel. Die stillen Soldaten sprachen nichts, aber nahmen die Schlüsselpunkte der Halbinsel sehr effektiv ein. … Diese ganze Touristenreise-Geschichte ist so unglaublich, dass man lachen könnte, wenn es nicht um Leben und Tod gehen würde.“

NV (UA) /

Kein Zweifel, dass die beiden schuldig sind

Nach dem Interview ist für den Journalisten Iwan Jakowyna in Nowoje Wremja höchstens noch zu klären, welcher der russischen Geheimdienste den Anschlag verübte:

„Wenn noch irgendjemand zweifelte, dass 'Petrow' und 'Boschirow' nach Salisbury fuhren, um Sergej Skripal umzubringen, können sie jetzt todsicher sein. Das, was die 'mittelständischen Geschäftsmänner' erzählten und wie sie sich dabei verhielten, beseitigt die letzten Zweifel. Das einzige, worüber man streiten kann, ist, zu welcher Behörde die beiden gehören. Der Version des britischen Geheimdiensts nach sind sie Mitarbeiter des [Militärgeheimdiensts] GRU. Das ist zwar möglich, doch gleichen sie absolut nicht dessen üblichen Mitarbeitern, denn sie sind zu trainiert und zu dumm. Dort werden gewöhnlich nicht sehr große, etwas dickliche, äußerlich nicht auffallende Leute genommen, die jedoch wenigstens etwas denken können.“

Doschd (RU) /

Auftritt war lächerlich und ungeschickt

Journalist Oleg Kaschin hält auf dem Portal des kremlkritischen Internet-TV-Sender Doshd den Auftritt für ein von ganz oben befohlenes PR-Desaster:

„Der Ursprung für den Irrsinn dieses Vorhabens liegt wohl ganz am Anfang der Ausführungskette, auf dem Niveau der Idee: Als jemand meinte, dass der Auftritt der beiden im Fernsehen der ganzen Welt zeigt, dass Russland im Fall Skripal unschuldig ist. Dieses Interview hat sich Wladimir Putin ausgedacht. ... Und die ganze Zeit fand sich niemand, der gesagt hätte, dass das eine schlechte Idee ist und dass da nichts Gutes rauskommt. Dass alle lachen werden und dass die ungeschickten Lügen dieser beiden Männer eindeutig wie das offizielle Eingeständnis des von ihnen - und vom russischen Staat - begangenen Verbrechens aussehen.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Mit Chaos im Kopf ist nicht gut reden

Andrej Lugowoj, Duma-Abgeordneter und Ex-Geheimdienstler, der von London als mutmaßlicher Mittäter der Litwinenko-Vergiftung im Jahr 2006 gesehen wird, zeigt auf Radio Kommersant FM Verständnis für den fahrigen Auftritt der beiden Männer:

„Man beschuldigt sie des Mordes und dass sie Mitarbeiter des GRU sind. Versetzen Sie sich in ihre Lage. Wie wird dies ein normaler Mensch aufnehmen? Er ist schockiert und ratlos. Er dreht einfach durch. Ich bin 2006 auch durchgedreht. Ich war nicht nur ratlos, ich hatte Panik, Wirrnis, ein Chaos im Kopf. ... Nun sind sie aus der Deckung gekommen, haben sich ein Herz gefasst und verstanden, dass sie reden müssen. Das sind normale russische Männer. Als sie zum Interview gingen, wussten sie, dass jetzt die ganze Welt auf sie schaut. Ich weiß nicht, vielleicht haben sie Baldrian getrunken, um still zu sitzen.“

The Daily Telegraph (GB) /

Wir lassen uns von Moskau an der Nase herumführen

Die Regierungen in London und in anderen EU-Staaten nehmen die große Bedrohung, die Moskau für die westlichen Demokratien darstellt, noch immer nicht ernst genug, klagt The Daily Telegraph:

„Großbritannien hat sich dieser Herausforderung noch nicht richtig gestellt. Die Regierung zögert, russisches Geld in Großbritannien ins Visier zu nehmen und versteckt sich dabei hinter der EU, um das zu rechtfertigen. Die EU wiederum reagiert ebenfalls träge, weil einige ihrer mächtigsten Mitgliedstaaten von russischen Energielieferungen abhängen. Gleichzeitig verliert der Westen den Propagandakrieg. Russland untergräbt unsere Wahlen - aber nicht, indem es diese direkt manipuliert, wie manche Linke sich das einbilden, sondern indem es unser System mit so viel Lärm und Unsinn überflutet, dass es schon lächerlich wirkt.“