Welche Folgen hat der Fall Khashoggi?

Mit immer weiteren Enthüllungen zum grausamen Tod des Journalisten Jamal Khashoggi wächst der Druck auf das saudische Königshaus. Neben den Spannungen zwischen Türkei, USA, EU und Saudi-Arabien, thematisieren europäische Kommentatoren auch ihrer Meinung nach bislang vernachlässigte Aspekte der Affäre.

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Corriere del Ticino (CH) /

Etwas ist faul an der Sache

Der Vorsitzende der Schweizer Nichtregierungsorganisation Security and Protection Against Crime and Emergencies (Space), Stefano Piazza, bezweifelt in Corriere del Ticino, dass Kronprinz Mohammed bin Salman ein Interesse an dem Journalistenmord hatte:

„ Warum sollte ein aufstrebender Prinz wie MBS, designierter Thronfolger, ein Mann, der die Unterstützung der USA und anderer regionaler Akteure genießt, sich in eine Affäre verwickeln lassen, von der er nur Diskreditierung, Sanktionen und internationale Isolation erwarten kann? ... Irgendetwas stimmt hier nicht. Was wäre, wenn die Feinde des saudischen Thronerben, die sogar in seiner eigenen Familie zahlreich sind, alles geplant hätten? Man hat das Gefühl, dass die dunkelsten Kapitel dieser Geschichte noch nicht geschrieben sind.“

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RTV Slovenija (SI) /

Auch im Westen macht man Journalisten mundtot

In westlichen Demokratien stehen Journalisten ebenfalls unter Druck, analysiert Marko Radmilovič in seiner Kolumne für RTV Slovenija:

„Die Medien-Eigentümer und oft sogar die von ihnen eingestellten Redakteure denken offen über die Bedeutungslosigkeit von Journalisten nach. Das heißt für mich, dass in der modernen Medienlandschaft ein guter Werbekunde so viel wert ist, wie eine ganze Armee von Journalisten. In demokratischen Ländern wurden die Journalisten wirksam von den Werbeanzeigen enthauptet. Noch sind wir in den westlichen Demokratien ziemlich zivilisiert und das Enthaupten von Journalisten findet bisher nur auf symbolischer Ebene statt. Doch auch in Europa gibt es einige ziemlich verdächtige Magnaten, die mit Freude in die faltige und ausgehungerte Haut eines Journalistenhalses hineinschneiden würden.“

De Standaard (BE) /

Keine Waffen für saudische Kriegsherren

Unabhängig vom Mord an Khashoggi ist der Krieg im Jemen Grund genug, Waffenexporte an Saudi-Arabien zu stoppen, fordert De Standaard. Dabei müsse auch offen über die Rolle des wallonischen Unternehmens FN Herstal gesprochen werden:

„Das politische Tabu wurde im Lauf der Jahre immer größer. Liefert FN die Waffen nicht, so werde es ein Konkurrent tun, heißt es immer. Und dann würden die wallonischen Arbeiter auf dem Altar der vor allem flämischen moralischen Überlegenheit geopfert. ... Saudi-Arabien ist der wichtigste Kunde für FN Herstal. Das Land kauft fast die Hälfte aller dort produzierten Waffen. ... Jetzt entartet der Krieg im Jemen zu einer humanitären Katastrophe und Millionen Menschen sind in akuter Not. Angesichts dessen klingen alle Rechtfertigungen beklemmend unmoralisch. Belgien bezahlt 25 Millionen, um die Kriegsnot zu lindern, die durch wallonische Waffen genährt wird.“

Trud (BG) /

Präsident tanzt allen auf der Nase herum

Erdoğan schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe, kommentiert Trud:

„Hut ab vor Erdoğan! Mit einem einzigen Manöver hat er es in wenigen Tagen fertiggebracht, sowohl dem hochnäsigen saudischen Prinzen mit seiner amerikanischen Carte Blanche auf der Nase herumzutanzen, als auch Trump, der sich wegen des internationalen Drucks gezwungen sieht, seine Unterstützung für Riad zurückzufahren. Und all das im Namen der Meinungsfreiheit! Kaum zu fassen, wenn man bedenkt, dass Erdoğans Regime die Stimmen der türkischen Kollegen von Khashoggi unterdrückt und dass es in der Türkei keine Medien mehr gibt, die sich nicht seinem Willen unterordnen und seine Propaganda verbreiten.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Königshaus würde sich erkenntlich zeigen

Nach Ansicht der Frankfurter Rundschau zeigt sich Erdoğan als gewiefter Machtpolitiker:

„Erdoğan [setzt] darauf, das Herrscherhaus durch Enthüllungen und internationale Empörung zu zermürben. Erdoğan weiß sich darin mit Zweigen der Königssippe einig, die das Machtgebaren des Salman-Sohnes lieber heute als morgen beenden möchten. Sollte der greise König Salman diesem Druck weichen müssen, wäre Erdoğan der Dank der übrigen Königssippe sicher - und damit auch viele neue Investitionsmilliarden aus dem saudischen Staatsschatz.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Trump versucht, seine Haut zu retten

Gazeta Wyborcza vermutet derweil, dass der US-Präsident zwischen der Türkei und Saudi-Arabien zu vermitteln versucht:

„Trump schickte CIA-Chefin Gina Haspel nach Ankara. Offiziell soll sie bei der Untersuchung helfen. Aber man kann davon ausgehen, dass ihre Mission darin besteht, das Feuer im Verhältnis zwischen der Türkei und Saudi-Arabien zu löschen, sowie direkte Anschuldigungen gegen Mohammed bin Salman zu verhindern, die Trump in Schwierigkeiten bringen würden. ... Nach Erdoğans Rede am Dienstag gibt es nämlich noch Raum, den Fall Khashoggi als eigenmächtiges Handeln einiger Agenten abzutun - vorausgesetzt, diese Version wird von den türkischen Geheimdiensten akzeptiert.“

Daily Sabah (TR) /

Enthüllungen kein Problem für Riad

Dass Saudi-Arabien die Enthüllung des Mordes gelegen kommt, hält die regierungsnahe Tageszeitung Daily Sabah für möglich:

„Die Arbeit der Geheimdienste wird immer schwieriger. Operationen, die geheim bleiben sollten, bleiben nicht mehr - so wie früher - versteckt. Manchmal werden sie dank der Fehler ihrer Täter aufgedeckt. Aber zuweilen hat man auch das Gefühl, dass das Land, das hinter der Operation steckt, nicht wirklich versucht hat, sie zu verheimlichen. Es wollte, dass die Operation als Warnung für andere potentielle Zielscheiben dient. Mit anderen Worten: Manche Länder geben gerne an.“

Le Figaro (FR) /

Innersunnitische Rivalität bricht sich Bahn

Die Türkei hat gut gepokert im Fall Khashoggi, meint Le Figaro:

„Während der vergangenen drei Wochen hat die türkische Regierung die saudische Monarchie ganz allmählich hingerichtet. Ohne die Monarchie offiziell anzuprangern, hat sie unter dem Deckmantel der türkischen Presse immer mehr Details durchsickern lassen. ... Zwischen dem Neo-Ottomanismus von Präsident Erdoğan und dem modernisierten Wahhabismus von Erbprinz MBS gibt es nämlich eine Rivalität um die Dominanz in der sunnitischen Welt und damit der großen Mehrheit der Muslime. ... Die Khashoggi-Affäre hat bei den Muslimen enthüllt, wie vehement diese innersunnitische Rivalität ist, die bisher hinter der alten Opposition zwischen Sunniten und Schiiten verborgen geblieben war.“

Sabah (TR) /

Für Saudi-Arabien wird es eng

Die regierungsnahe türkische Sabah schlussfolgert denn auch, dass sich Saudi-Arabien künftig nicht mehr alles herausnehmen kann:

„Nachdem Erdoğan verkündet hat, dass er die Wahrheit schonungslos offenlegen wird, hat Trump ihn zum ersten Mal nach der Brunson-Krise angerufen und sich mit ihm beratschlagt. Denn die Beweise, die die Türkei vorlegen wird, werden auch über den Fortgang der Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien entscheiden. Falls Saudi-Arabien sowohl im Inneren als auch in der Region nach Stabilität strebt, wird es seine Außenpolitik neu ausrichten müssen.“

All die Imagepflege war vergebens

Die konservative ägyptische Tageszeitung Shorouk sieht das Königreich in der schwersten Krise seit seiner Gründung 1932:

„Nur einige wenige Länder haben sich mit Saudi-Arabien solidarisiert. ... Diese begrenzte Solidarität ist der Kern der heutigen Krise. Das hat sich Riad selbst in seinen schlimmsten Vorstellungen nicht ausgemalt. Der 'Istanbul-Vorfall' hat das Bild zerstört, das Saudi-Arabien von sich seit Jahrzehnten pflegt: das Bild eines Landes, das großzügig an Arme spendet, den Terrorismus bekämpft, für den Islam und Stabilität eintritt. ... Sehr wahrscheinlich wird das Königreich diese Krise wegen seiner finanziellen Macht und der starken Bande zu seinen Verbündeten überwinden. Trotzdem wird in der Nach-Khashoggi-Ära nichts mehr sein wie zuvor.“

Večernji list (HR) /

Trump ist Geld wichtiger als Menschenleben

Trump misst in seiner Nahostpolitik mit zweierlei Maß, ärgert sich Večernji list:

„Es ist interessant, dass Donald Trump Bin Salman glaubt, dessen Land die Liste der Menschenrechtsverletzer anführt und für die derzeit größte humanitäre Katastrophe im Jemen verantwortlich ist. Und dass er dem Iran nicht glaubt, wenn dieser sagt, er stelle keine Atombombe her. Hätte irgendein anderer Staat solch eine widerliche Tat verübt und in einem anderen Land einen Journalisten zerteilt, wären heute Tomahawk Cruise-Missiles unterwegs und B-52-Bomber würden es in Schutt und Asche legen. Es ist ersichtlich, dass Trump und einige andere westliche Staaten Saudi-Arabien niemals bestrafen werden, da es um viel Geld geht, um 380 Milliarden Dollar, die der Waffenhandel wert ist. ... Ein Land, das Symbol für Demokratie und Freiheit ist, hat materielles Interesse den Menschenrechten und dem Leben vorgezogen.“

Lidové noviny (CZ) /

Nahostpolitik geht nicht ohne Heuchelei

Die Kritiker Trumps zögerlicher Reaktion gegen Riad machen es sich zu leicht, findet hingegen Lidové noviny:

„Diejenigen, die Trump den Export von Waffen nach Saudi-Arabien vorwerfen, gehören meist zu denen, die Waffen an den Iran exportieren, ohne Rücksicht auf Menschenrechte. Natürlich ist die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien heuchlerisch. Aber ist die Zusammenarbeit mit dem Iran, einem fundamentalistischen Regime, das andere Länder mit Vernichtung bedroht, weniger heuchlerisch? Das größere Problem lautet: Wo soll man im muslimischen Nahen Osten ein Land finden, mit dem sich problemlos zusammenarbeiten lässt?“

Ria Nowosti (RU) /

USA dürfen sich nicht selbst schaden

Ria Nowosti warnt die politischen Kräfte in den USA davor, jetzt scharfe Sanktionen gegen Saudi-Arabien zu erlassen:

„Wenn die saudischen Gelder in den USA eingefroren würden, müsste Riad sich andere Geldquellen suchen. Und unabhängig davon, was für eine Kombination aus Euro, Yuan, Gold und anderen Valuta dies werden sollte, für das Petrodollar-System wäre es das Ende mit allen sich daraus ergebenden Folgen für die US- und Weltwirtschaft. ... Wenn die US-Parlamentarier eine harte Form der Konfrontation wählen, so wird dies ein weiteres Beispiel dafür sein, wie Stolz und Dummheit der politischen Elite ein einstmals großes Imperium endgültig ruinieren.“

Dserkalo Tyschnja (UA) /

Riads Dominanz hat bald ein Ende

Saudi-Arabiens Ambitionen auf eine Führungsrolle im Nahen Osten könnten bald einen herben Dämpfer erhalten, glaubt Dserkalo Tyschnja:

„Die Ambitionen der jungen Politiker [in Saudi-Arabien] radikalisieren ihre Handlungen, was die letzten Ereignisse - insbesondere der Fall Khashoggi - lebhaft demonstrieren. Wenn der Druck auf Nachbarn, Interventionen und Blockaden, Verfolgungen und Morde an Oppositionellen zum charakteristischen Instrument der Außenpolitik Saudi-Arabiens werden, dann ist es nur eine Frage der Zeit, dass diese Tätigkeiten auf internationaler Ebene eine entsprechende Antwort erhalten. Das kann die Kräftebalance in der Region radikal ändern, saudische Positionen untergraben und dem Streben Riads nach regionaler Dominanz ein Ende bereiten.“

La Stampa (IT) /

Despoten wittern Morgenluft

Saudi-Arabien ist nicht das einzige Land, in dem das Verschwinden von Dissidenten gängige Praxis ist, klagt La Stampa:

„Der Vorfall steht für ein viel weiter verbreitetes Phänomen: die wachsende Aggressivität gegenüber jeder Art von Gegnern oder unbequemen Personen seitens der Führungskräfte autokratischer oder illiberaler Nationen. ... Wir stehen also vor einem neuen Phänomen, das wahrscheinlich das Ergebnis der Schwächung der internationalen Beziehungen ist: Despoten, Autokraten und absolute Monarchen sehen in der Zersetzung der multilateralen Architektur die Möglichkeit, ihre Macht zu stärken, indem sie ihre inneren Feinde überall verfolgen. Ohne sich allzu sehr um Gesetze, Verträge und Konventionen zu kümmern, auf denen das Konzept der Koexistenz zwischen den Nationen basiert.“

El Mundo (ES) /

Die Blase der Straflosigkeit ist geplatzt

Diesmal haben die Herrscher in Riad ihre vermeintliche Immunität überschätzt, glaubt El Mundo:

„In jeder Diktatur wähnen sich die Machthaber sicher vor Strafverfolgung. Aber die Globalisierung schränkt diese Orte der Immunität für Menschenrechtsverbrecher ein. ... Die saudi-arabische Monarchie mit ihren nach wie vor anachronistischen mittelalterlichen Methoden hat vor allem einen riesigen taktischen Fehler begangen. In gewohnter Selbstgefälligkeit hat sie allem Anschein nach ein Staatsverbrechen gegen den kritischen Journalisten Jamal Khashoggi begangen. Der Vorfall ist so haarsträubend - die türkische Presse berichtet, er sei bei lebendigem Leib auseinandergerissen worden -, dass die bislang Riad schützende Blase der Straflosigkeit geplatzt ist.“

NRC (NL) /

Samthandschuhe endlich ausziehen

Mehrere europäische Länder haben eine unabhängige Untersuchung des Falls Khashoggi gefordert. Europa muss ein starkes Signal senden, mahnt NRC Handelsblad:

„Mit dem verbrecherischen Charakter des Regimes verbinden wir nun alle ein Gesicht. Endlich. Denn es gab natürlich schon viel früher Anlass, Saudi-Arabien nicht als gewöhnliches Land anzusehen. ... Mit dem Fall Khashoggi ist für die internationale Gemeinschaft eine neue Grenze überschritten worden. ... Behutsamkeit ist in der Diplomatie ein anerkanntes Instrument. Aber wenn man zu vorsichtig ist, kann das auch falsch ausgelegt werden. Nach all den anfänglichen Behinderungen der Untersuchungen durch die saudische Seite muss nun ein Signal gesetzt werden. ... Es gibt allen Anlass, vorzugsweise im europäischen Verbund, die Beziehungen mit Saudi-Arabien zu überprüfen.“

Financial Times (GB) /

Die Mär vom jungen arabischen Reformer

Der Westen ist im Fall von Kronprinz Mohammed bin Salman wie schon zuvor bei Assad und anderen dem Irrglauben erlegen, dass junge Herrscher im Nahen Osten Garanten für Demokratisierung seien, klagt Financial Times:

„Es stimmt schon, Jugend bedeutet mehr Energie. Doch Unerfahrenheit kann diese Energie in die falsche Richtung leiten. Unerfahrenheit vermengt sich mit Unsicherheit. Weil die Söhne ihre Macht konsolidieren müssen, stellen sie langjährige Berater kalt. Sie regieren von einer kleineren Machtbasis aus und fallen in paranoide Instinkte zurück. Die westlichen politischen Machtzirkel haben immer wieder den gleichen Fehler begangen: Sie haben Jugend mit einem Bekenntnis zum Wandel verwechselt und angenommen, dass junge Herrscher, die ins Ausland reisen und Interesse an Kunst sowie der digitalen Welt zeigen, eher verantwortungsvoll handeln.“

Delo (SI) /

Willkür statt Gerechtigkeit

Wen die USA letztlich als Sündenbock im Fall Khashoggi ausmachen werden, fragt sich Delo:

„Die USA sind ein entschlossenes und ernsthaftes Land, deshalb werden sie auch heftige Strafen auferlegen, wenn sie sich dafür entscheiden. Die Frage ist nur, wer für den schrecklichen Mord am saudischen Journalisten zahlen wird. Bisher galt die Regel, dass die 'gerechte amerikanische Strafe' für saudische Verbrechen andere getroffen hat. Als (überwiegend) saudische Staatsbürger mit Passagierflugzeugen am 11. September 2001 die USA angriffen, zogen die USA gegen Afghanistan in den Krieg. Die Schuld für diesen terroristischen Angriff sunnitischer Extremisten haben US-Gerichte außerdem bereits mehrmals dem schiitischen Regime im Iran aufgeladen und ihm Entschädigungszahlungen für die Angehörigen der Opfer des 11. September aufgebürdet.“

Polityka (PL) /

Khashoggis Erbe kann Saudi-Arabien verändern

Polityka hofft, dass die mutmaßliche Ermordung Khashoggis zum Katalysator für einen Wandel in Saudi-Arabien wird:

„Der Fall trifft sicherlich vor allem den Thronerben Mohammed bin Salman. In der königlichen Familie fehlt es nicht an Verschwörungen und an Gegenkandidaten, die das Erbe des alten Königs Salman antreten wollen. Man darf sich also auf eine Palastintrige einstellen und den Versuch, den allmächtigen 'MBS' zu entmachten. Doch das wird vielleicht nicht reichen und so könnte Khashoggi zu einer Ikone der Frauenrechtsbewegung und der Befürworter einer Liberalisierung in der unterdrückerischsten Monarchie der Welt werden. Der Wandel in Saudi-Arabien wird nicht heute und nicht morgen stattfinden, aber Khashoggis Tod bringt ihn sicherlich näher.“

Il Manifesto (IT) /

Das unheilvolle Bündnis von Washington und Riad

Warum die Saudis sich gegenüber den USA von jeder Schuld freikaufen können, erläutert der Nahost-Experte Alberto Negri in Il Manifesto:

„Die USA wollen oder können die Arroganz von Riad, ihrem größten Waffenkäufer, der ein Sechstel ihres Verteidigungshaushalts finanziert, nicht einschränken. Dabei sind die Saudis seit Jahrzehnten auch die Geldgeber des radikalen Islam. 2001 startete Amerika einen Krieg gegen den Terror, den Riad selbst von Afghanistan bis in den Nahen Osten schürte. ... Das Bündnis zwischen den USA und den Saudis ist kein Bündnis, sondern eine echte Komplizenschaft in den großen Katastrophen und Massakern des letzten halben Jahrhunderts. Das ist die einzige Wahrheit, die wir sicher kennen.“

Aftonbladet (SE) /

Geld ist Menschenrechten übergeordnet

Auch Schweden hat seit Jahren die Kritik an Saudi-Arabien wirtschaftlichen Interessen untergeordnet, schimpft Aftonbladet:

„Unabhängig, ob wir eine bürgerliche oder rotgrüne Regierung hatten. Der gefangene und ausgepeitschte [Internetaktivist] Raif Badawi hat da auch keinen Unterschied gemacht. Wirtschaftsminister Damberg reist hin und her um den Handel mit Saudi-Arabien zu unterstützen, angefeuert von mächtigen Vertretern der Wirtschaft. Geld ist auf allen Ebenen den Menschenrechten übergeordnet. Das hat der Fall Jamal Khashoggi wieder einmal gezeigt.“

The Washington Post (US) /

Rote Linie überschritten

Auf Ähnlichkeiten zum Fall des Whistleblowers Edward Snowden in den USA verweist The Washington Post:

„Der [im Fall Snowden] angerichtete Schaden versetzte die US-Verbündeten in eine unmögliche Situation. Der große Schaden bestand darin, dass langjährige Alliierte wie Brasilien und Deutschland die Zusammenarbeit einschränkten, weil die Hinweise auf eine Überwachung durch die USA nicht länger geleugnet werden konnten. ... Jamal Khashoggi betrat das saudische Konsulat in Istanbul. Er kam nie wieder heraus. Es gibt keinen Trick und keine überzeugende Illusion, die das verschleiern könnten.“

Evrensel (TR) /

"Tatort" Türkei ist kein Zufall

Evrensel zählt Gründe auf, warum der mutmaßliche Mord gerade in Istanbul begangen wurde:

„Dass im Fall Khashoggi die Türkei als 'Tatort' ausgewählt wurde, liegt darin begründet, dass sie in dem Konflikt zwischen den Achsen des Nahen Ostens und der Arabischen Halbinsel eine Rolle als Kontrahent Saudi-Arabiens einnimmt. Um es vollständig zu machen, muss hinzugefügt werden, dass die US-Regierung bezüglich ihrer Pläne in der Region Schwierigkeiten mit der Türkei erlebt. Die Saudis könnten demzufolge gedacht haben, dass die USA es tolerieren würden, wenn als Adresse [für den Mord] die Türkei angegeben wird.“

Die Presse (AT) /

Rote Linie für den Kronprinzen

Falls sich herausstellen sollte, dass Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman für Khashoggis Verschwinden verantwortlich ist, sind Sanktionen unerlässlich, meint Die Presse:

„Einzuknicken ist keine Option. Das bestärkt jemanden wie den jungen und impulsiven De-facto-Herrscher in Riad nur. Im Sommer sprang kaum ein westlicher Staat den Kanadiern zur Seite, als der Wüstenstaat sie nach Kritik an der Verhaftung saudischer Frauenrechtlerinnen mit einem Diplomatie- und Finanzbann belegte. Auch jetzt bangen Regierungen von Berlin bis Washington um ihre milliardenschweren Waffengeschäfte und Deals, wenn sie Saudi-Arabien zu hart anfassen. Doch der Kronprinz braucht offenbar eine rote Linie, sie sollte eindeutig gezogen werden, sobald Beweise für den Mord an Khashoggi vorliegen. Sonst bleibt der einzige Wert, der den Westen noch zusammenhält, die Gleichgültigkeit.“

De Volkskrant (NL) /

Auf einmal ist Saudi-Arabien der Paria

Angesichts der Kritik aus dem Westen an Saudi-Arabien fragt Kolumnistin Sheila Sitalsing in De Volkskrant, warum das Königreich ausgerechnet jetzt fallen gelassen wird:

„Von allen bösartigen Regimes hat es Saudi-Arabien vielleicht noch am besten bei uns im freien Westen. Das Regime hackt Köpfe und Hände ab. Es behandelt Frauen wie unmündige Brutmaschinen. Es geht gnadenlos gegen Menschen vor, die dagegen protestieren. ... Und es ist verantwortlich für Kriegsverbrechen und eine humanitäre Katastrophe im Jemen. Doch das alles störte uns kaum aus zwei Gründen: Öl und der Krieg gegen den IS. ... Doch das Verschwinden von Khashoggi war offenbar ein Verbrechen zu viel.“

The Guardian (GB) /

Die Herrschaft des Rechts bricht zusammen

Der Fall verweist für The Guardian auf einen international beobachtbaren Werteverfall:

„Er zeigt, dass das Völkerrecht und die 'auf Regeln basierende Weltordnung', über die viel geklagt und die stark beschädigt wurden, immer weniger Achtung finden. ... Jamal Kashoggis Verschwinden führt vor Augen, was passieren kann, wenn die Herrschaft des Rechts zusammenbricht. Und anstatt dafür zu kämpfen, dies rückgängig zu machen, dulden demokratisch gewählte Staatschefs und Regierungen stillschweigend die verantwortlichen Diktatoren und Despoten oder ignorieren diese. Ähnlich offenkundige Gräueltaten werden jeden Tag verübt - und jeden Tag bleiben sie ungestraft.“

De Telegraaf (NL) /

Freie Hand dank Erdoğan und Trump

Mohammed bin Salman hat dank zweier Staatschefs offenbar das Gefühl, völlig skrupellos vorgehen zu können, analysiert De Telegraaf:

„Der Kronprinz sieht sich durch Präsident Trump bestärkt, der nach seinem Antritt als erstes Land Saudi-Arabien besucht hatte. Frühere US-Diplomaten führen an, dass Salman dank Trump das Gefühl hat, völlig freie Hand zu haben. Der US-Präsident hat - wie sein türkischer Amtskollege Erdoğan - kaum Kritik am Verschwinden von Kashoggi geäußert. Denn beide brauchen Saudi-Arabien politisch und finanziell.“

Star (TR) /

Nicht mal um Vertuschung bemüht

Die Entführer oder Mörder Khashoggis wollten mit ihrem Auftreten jemandem eine Nachricht zukommen lassen, ist sich die regierungstreue Tageszeitung Star sicher:

„Ihr Verhalten zeigt, dass sie nicht einmal versuchten, Fehler zu vermeiden. Oder anders gesagt, dass sie absichtlich Spuren hinterließen. ... Kein Geheimdienst (und wir wissen mittlerweile, dass die am 2. Oktober am Atatürk-Flughafen gelandeten 15 saudischen Bürger Mitarbeiter des Geheimdienstes waren) geht derart nachlässig vor. Es handelt sich geradezu um 'professionelle Nachlässigkeit'. ... Dieser Mord handelt nicht bloß vom Verschwinden eines Dissidenten. Er enthält auch eine Nachricht. ... Was sie beinhaltet, wird das Zielland und seine Führung bewerten und dementsprechend einen 'Aktionsplan' vorbereiten.“

La Repubblica (IT) /

Eine Tragödie für Saudi-Arabien

Sollten sich die Vorwürfe als begründet erweisen, wird Saudi-Arabien isoliert, glaubt der Koluminist von The New York Times, Thomas L. Friedman, in einem Gastbeitrag in La Repubblica:

„Wenn Jamal von Agenten der saudischen Regierung entführt oder ermordet wurde, wird es eine Katastrophe für Mohammed bin Salman, eine Tragödie für Saudi-Arabien und für alle Länder am Arabischen Golf sein. Es würde sich um eine unerklärliche Verletzung der Normen der Menschenwürde handeln. Welche westlichen Führungskräfte werden sich auf die Seite von Mohammed bin Salman stellen wollen, wenn gezeigt würde, dass seine Regierung Jamal entführt oder ermordet hat?“

The Guardian (GB) /

Regime reagiert mit Brutalität auf Kritik

Das Verschwinden des Journalisten ist ein weiteres Signal des saudischen Kronprinzen, dass er keinen innenpolitischen Widerspruch duldet, analysiert The Guardian:

„Die Entwicklungen im Königreich im vergangenen Jahr folgen einem eindeutigen Muster. Seit dem Aufstieg von Mohammed bin Salman zum Kronprinzen und De-facto-Herrscher hat in Saudi-Arabien eine neue Ära begonnen, in der auf internen Widerspruch mit Brutalität reagiert wird - ganz gleich, von wem dieser ausgeht. ... Der saudische Staatsapparat vermittelt klar, dass Wandel im Land nur dann zulässig und legitim ist, wenn dieser von ihm selbst ausgeht. ... Was auch immer mit Jamal Khashoggi tatsächlich passiert ist, Saudi-Arabiens neue Null-Toleranz-Politik im Umgang mit internem Abweichlertum wird lautstark und klar in die Welt hinausposaunt.“

Yeni Şafak (TR) /

Auch ein Angriff auf die Türkei

Dieser Fall darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, mahnt die regierungsnahe Tageszeitung Yeni Şafak:

„Präsident Erdoğan verfolgt den Fall persönlich. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet, alle Sicherheitseinheiten arbeiten sorgfältig. ... Gleichzeitig versucht die Türkei eine Strategie zu finden, wie sie vorgehen soll, wenn sich der Mord als wahr herausstellen sollten. Wenn es wahr sein sollte, müssen die Behörden ernsthaft und entschlossen reagieren. Denn dies ist ein Angriff, der die Glaubwürdigkeit, das Ansehen und die Verantwortung des türkischen Staats gegenüber Ausländern erschüttert. ... Ohnehin wirkt dieser Mord wie eine Operation, die ausgeführt wurde, um die Türkei in Bedrängnis zu bringen und die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu beenden.“