Türkei lässt US-Pastor Brunson frei

Ein türkisches Gericht hat den seit zwei Jahren in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson freigelassen. Er stand wegen angeblicher Spionage und der Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei PKK unter Hausarrest. Die USA verhängten deshalb Sanktionen gegen Ankara. Was bedeutet Brunsons Freilassung für die Beziehung beider Länder und die Wirtschaft der Türkei?

Alle Zitate öffnen/schließen
Kathimerini (GR) /

Noch keine Entspannung in Sicht

Zwischen der Türkei und den USA wird es bald wieder knirschen, betont Kathimerini:

„Wenn am 5. November Sanktionen gegen den Iran verhängt werden, dürften die Spannungen zwischen Ankara und Washington wieder größer werden. ... Die Türkei liefert Öl und Gas aus dem Nachbarland und will Sanktionen vermeiden. Es ist noch zu früh zu sagen, ob die Politik, ausländische Bürger in Geiselhaft zu nehmen, der Türkei etwas gebracht hat, oder ob sie diesmal dafür bezahlen muss. Wenn Erdoğan gegen eine Mauer zu laufen droht, dann ist er aus Gründen des Selbsterhalts offenbar bereit, nicht auf seinen Fehlern zu bestehen.“

T24 (TR) /

Prozess verscheucht Investoren

Der Brunson-Prozess hat auch der türkischen Wirtschaft geschadet hat, glaubt T24:

„Kehren die ausländischen Anleger in die Türkei zurück? ... Die Krise ist im Prinzip kein Hindernis für ausländische Investoren, die Fabriken eröffnen oder zur Auftragsfertigung in die Türkei gehen wollen. Im Gegenteil: Man könnte sogar sagen, dass gerade der Kursverfall der Lira einen Vorteil bei den Produktionskosten und damit einen zusätzlichen Anreiz schafft. Trotzdem kehren die Investoren nicht zurück in die Türkei. Warum sollten sie auch, wenn sie sehen, was im Brunson-Prozess (und in ähnlichen Prozessen) passiert? ... Recht, Demokratie und Wirtschaft sind eben eng miteinander verknüpft.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Reine Willkürjustiz

Die Freilassung Brunsons hat erneut gezeigt, dass in der Türkei nicht die Justiz, sondern allein Erdoğan das Sagen hat, führt die Frankfurter Rundschau aus:

„'Solange ich im Amt bin, bekommt ihr diesen Terroristen nicht.' … Und plötzlich ist von all dem nichts mehr übriggeblieben. Der gemeingefährliche Terrorist Brunson wurde noch am Freitag aus der Haft entlassen, ein Flugzeug stand bereit, um ihn abzuholen. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ließ der Sprecher von Erdoğan mitteilen: 'Das Urteil zeigt, dass die Türkei ein demokratischer Rechtsstaat ist, der eine unabhängige und unparteiische Justiz hat.' Alles vorher verhandelt, alles abgesprochen und zwar aus Angst vor weiteren Sanktionen der USA, die die türkische Wirtschaftskrise noch weiter verschärft hätten. Und weil die USA als Bündnispartner bei der instabilen Lage im Nahen Osten gebraucht werden. Reine Willkürjustiz.“

Sabah (TR) /

Trump und Erdoğan nähern sich an

Über die Entspannung in den diplomatischen Beziehungen beider Länder freut sich die regierungsnahe türkische Zeitung Sabah:

„Der Brunson-Prozess hat über seine juristische Dimension hinaus auch politische Bedeutung. Er war die Basis ernsthafter Spannungen zwischen Washington und Ankara. Er war der Grund, weshalb US-Präsident Trump unter dem Druck der Evangelikalen die Türkei zur Zielscheibe seiner Tweets machte und Sanktionen beschloss. Man kann sagen, dass mit dem Beschluss des Gerichts in Izmir eines der Themen überwunden wurde, die für Spannungen zwischen den beiden Hauptstädten sorgten. ... [Das ist] mit Blick auf die bilateralen Beziehungen sehr vorteilhaft.“

Sözcü (TR) /

Ein neuer Sündenbock für Wirtschaftskrise muss her

Ankara machte die US-Sanktionen gegenüber der Türkei für die schlechte Wirtschaftslage im Land verantwortlich. Doch mit der Freilassung Brunsons verliert die Regierung auch ihr Erklärmodell für die türkische Wirtschaftskrise, kommentiert Sözcü:

„Die positive Wirkung auf die Märkte wird nicht lange anhalten. Und wenn es den Märkten nicht gut geht und das Schuldenlimit erreicht ist, hilft es dem Land auch nicht weiter, dass der Pastor freigelassen wurde. Als der Gerichtsbeschluss verkündet wurde, hat sich nicht einmal der Dollar bewegt! ... Jetzt, wo der Pastor weg ist, muss ein neuer Feind her. Wie sonst soll man dem Volk die immer schlechtere Wirtschaftsentwicklung erklären? Vielleicht sucht man wieder die Schuld bei den Außenmächten. Oder bei den Tempelrittern. Keine Sorge, irgendeine Lobby wird sich schon finden lassen.“