Was bedeutet die Wahl in Hessen für Deutschland?

Konservative und Sozialdemokraten müssen bei der Wahl in Hessen zweistellige Verluste hinnehmen. Weil die Grünen ihr bislang bestes Ergebnis in dem Bundesland erreichen, ist die Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition rechnerisch möglich. Das Wahlergebnis erhöht den Druck auf die Regierung in Berlin, analysieren Kommentatoren und bezweifeln, dass sie sich noch lange halten kann.

Alle Zitate öffnen/schließen
Corriere della Sera (IT) /

Noch mehr Druck auf Koalition in Berlin

Die größte Bedrohung für Merkels Große Koalition in Berlin kommt nicht aus ihrer eigenen Partei, beobachtet Paolo Valentino, Deutschland-Korrespondent von Corriere della Sera:

„Hessen fügt der CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Verbündeten der SPD eine weitere, harte Niederlage zu. ... Hat das Wiesbadener Erdbeben auch nicht die gleiche Intensität wie das bayerische vor zwei Wochen, wird seine Erschütterung sicherlich in Berlin zu spüren sein. Die schlimmsten Nachrichten für die Große Koalition von Angela Merkel kommen dabei nicht von der Partei der Kanzlerin selbst, sondern von der Bestätigung der existenziellen Krise, die die SPD zu erfassen droht und auf jeden Fall den Druck innerhalb der Partei erhöhen wird, den Regierungspakt in Berlin aufzukündigen.“

BBC (GB) /

GroKo könnte bald Geschichte sein

Nach den desaströsen Verlusten in Bayern und Hessen könnte die SPD-Führung die Reißleine ziehen und aus der Bundesregierung aussteigen, glaubt auch BBC:

„Die Verluste sind ohne Zweifel Munition für jene parteiinternen Kritiker Angela Merkels, die diese loswerden wollen. Doch sie könnte vor einem drängenderen Problem stehen. Ihre sozialdemokratischen Koalitionspartner befinden sich bei Wahlen im freien Fall. ... Viele in der SPD machen die umstrittene Koalition mit Merkels Konservativen verantwortlich. Die Führungsriege der Sozialdemokraten könnte sich dazu entscheiden, aus dem Bündnis auszusteigen und Merkels schwache Regierung zu stürzen. Die Deutschen nennen das eine 'Schicksalswahl'. Sie könnte tatsächlich das Schicksal der Koalition im Bund besiegeln - und vielleicht auch das von der Regierungschefin.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Todeskampf wird sich weiter hinziehen

Der Tages-Anzeiger glaubt hingegen nicht an ein schnelles Ende der Großen Koalition:

„Viel wahrscheinlicher ist ..., dass sich die Agonie dieser ungeliebten Regierung noch weit bis ins nächste Jahr hineinziehen wird. CDU und SPD fürchten schnelle Neuwahlen gleichermaßen. Merkels Nachfolger sind noch nicht bereit, und die alte Matriarchin will noch nicht weichen. Die SPD wiederum ahnt, dass sie vom Wähler für einen Ausstieg aus der Regierung wahrscheinlich ebenso sehr bestraft würde wie für ihr Ausharren. Für einen Bruch braucht sie einen glaubwürdigen politischen Grund, aus dem sich am besten auch gleich ein kraftvoller Wahlkampf ableiten lässt. Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist keine Strategie.“

Der Standard (AT) /

Merkel muss Nachfolger Platz machen

Dass Merkel noch lange das Land und die Partei führt, kann sich Der Standard beim besten Willen nicht vorstellen:

„Sie ist seit 18 Jahren Parteivorsitzende und seit 13 Jahren Kanzlerin. Hessen zeigt wie viele Landtagswahlen zuvor: Mit ihr an der Spitze gewinnt man keine Wahlen mehr. Das bedeutet nicht, dass Merkel als Kanzlerin sofort gehen muss. Aber sie muss den Übergang jetzt organisieren. Anfang Dezember findet in Hamburg der CDU-Parteitag statt. Da muss klar sein, mit wem an der Spitze sich die CDU für die nächsten Jahre aufstellt. Merkel kann es nicht mehr sein, sie sollte für eine neue Generation Platz machen. Das oft gebrauchte Argument, dass es nicht wirklich einen Nachfolger / eine Nachfolgerin gebe, ist absurd und sagt viel über den innerparteilichen Zustand aus.“