Einsamkeit kommt auf die politische Agenda

In Großbritannien gibt es seit Jahresbeginn ein Ministerium für Einsamkeit. Nun hat es die ersten Maßnahmen vorgestellt. Unter anderem sollen Ärzte künftig soziale Aktivitäten verschreiben und Postboten nach betroffenen Menschen Ausschau halten. Woher rührt das Massenphänomen Einsamkeit und wie problematisch ist es?

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Aftonbladet (SE) /

Die Jungen regieren das Land der Singlehaushalte

Mehr politischen Einsatz gegen Einsamkeit in Schweden fordert Aftonbladet:

„Die schwedische Politik wird von jungen Menschen gesteuert. ... Im neu gewählten Parlament sind nur sechs von 349 Abgeordneten über 65. ... Großbritannien hat jetzt einen Minister für die Bekämpfung der Einsamkeit. Dort gibt es soziale Aktivitäten auf Rezept. Hierzulande erwärmen sich die Liberalen für die gleichen Ideen. Man kann viel an den Liberalen aussetzen, aber sie haben die Abgeordnete Barbro Westerholm (85), die dafür kämpft, dass die Kommunen allen Altersklassen etwas bieten. Wir Schweden sind die einsamsten der Welt. Einundvierzig Prozent unserer Haushalte sind Einpersonenhaushalte. Sobald wir eine Regierung haben, muss sie verstehen, dass die Einsamkeit nicht übersehen werden darf. Sie muss als eines unserer größten gesellschaftlichen Probleme behandelt werden.“

The Guardian (GB) /

Wer klug ist, sieht Einsamkeit als Geschenk

Einsamkeit sollte nicht als Krankheit betrachtet werden, die Heilung verlangt, fordert Soziologe Frank Furedi in The Guardian:

„Die Philosophin Hannah Arendt versuchte, eine durch Einsamkeit verursachte Tristesse durch einen inneren Dialog mit sich selbst in etwas Positives zu verwandeln. Sie zeigte damit eine Möglichkeit auf, was wir gegen die Entfremdung von uns selbst tun können. Andere, wie die Autorin Maya Angelou, fanden ihr Heil in der Musik. ... Wieder andere, wie die existentialistische feministische Schriftstellerin Simone de Beauvoir, akzeptierten ihre Einsamkeit und versuchten, daraus kreative Kraft zu schöpfen. Sie alle verstanden, dass wir mit Einsamkeit leben können, wenn wir sie als wertvoll begreifen. Wir werden mit den Problemen unserer Existenz besser fertig, wenn wir versuchen, darin einen Sinn zu sehen, anstatt Heilung zu suchen.“

thejournal.ie (IE) /

Persönlicher Kontakt durch nichts zu ersetzen

Dass die sozialen Medien das Problem der Einsamkeit nicht lösen werden, gibt Mediziner Keith Swanick in TheJournal.ie zu bedenken:

„Persönlicher Kontakt und menschliche Interaktion können nicht durch Technologie allein ersetzt werden. Wir werden mit Kommunikationsmöglichkeiten wie Facebook, FaceTime, Skype und Snapchat überschwemmt. Trotzdem sind die Menschen heute einsamer denn je. Wir wissen von Psychologen, dass viele junge Menschen, die online unglaublich gut vernetzt sind, unter unglaublich schlimmer Einsamkeit leiden können. Und schuld daran ist zumindest zum Teil das Fehlen bedeutsamer persönlicher und menschlicher Kontakte.“

Fokus (UA) /

Menschen fehlt emotionale Verbindung

In Fokus räsoniert Chefredakteur Jewhen Hordejtschik darüber, dass die modernen Menschen sich von der Außenwelt abkapseln:

„Die Welt erweist sich wortwörtlich als zerrissen. Zerrissen in Stücke, die nicht einmal bei den sich nahestehenden Leuten zusammenpassen. Die industrielle Revolution, die für praktisch alle Haushaltstechnik zugänglich machte, gestattete den Menschen, für sich zu leben, ohne alltägliche Probleme. Die gerade stattfindende Werberevolution [personalisierte Werbung] macht es möglich, dass jeder in den Dingen seinen ganz eigenen Sinn sehen kann und keine emotionale Verbindung zu seiner Umgebung mehr sucht. Einsamkeit wird zu einem der Hauptprobleme der nahen Zukunft, zusammen mit dem Klimawandel, der alternden Bevölkerung und der Überbevölkerung.“