Klimaschutz: Nimmt die Jugend die Sache in die Hand?

Die Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future steuert für den heutigen Freitag eine Rekordkundgebung an. In über 1.000 Orten in fast 100 Ländern wollen junge Menschen auf die Straßen gehen, um die Politik zum Handeln gegen den Klimawandel zu drängen. Von Europas Kommentatoren kommen Lob und Ansporn – aber auch ein paar kritische Fragen.

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La Stampa (IT) /

Millennials rebellieren gegen Totschlagargumente

Die Jugend lässt sich nicht länger abspeisen, applaudiert Journalist Christian Rocca in La Stampa:

„Es ist nicht das erste Mal, dass sich junge Menschen gegen die Erderwärmung einsetzen. Aber es ist das erste Mal, dass die Dringlichkeit der Situation von der öffentlichen Meinung wahrgenommen wird. Der Global Strike for Future der jungen Menschen gegen die Trägheit der Regierungen beim Klimawandel ist kein spontaner Protest, sondern die Folge des Bewusstseins einer neuen Generation. Sie ist sich der Risiken für die Menschheit bewusster als vorherige Generationen. Die neue Sensibilität der demonstrierenden Millennials besteht gerade darin, die traditionelle Argumentation in Frage zu stellen, wonach Träume nicht verwirklicht werden können und die nötige Finanzierung nicht gefunden werden kann. Denn mit diesem alten Argumentationsmuster wird die Dringlichkeit der Rettung des Planeten weiterhin unterschätzt.“

Público (PT) /

Hoffnung statt Verbitterung

Público kritisiert die mangelnde Offenheit von Portugals Schulen gegenüber der Protestbewegung:

„Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben sich junge Menschen entschieden, ihre Komfortzone zu verlassen und auf die Straße zu gehen, um für einen Wandel in der Klimapolitik zu protestieren. Selten gab es in dieser Welt alter und verbitterter Politiker so viele gute Gründe, zu glauben, dass der Kampf fürs Gemeinwohl und unsere Zukunft noch nicht verloren ist. ... Was die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg in Gang gesetzt hat, ist eine verheißungsvolle Veränderung. Deswegen ist die Entfremdung, mit der die hiesige Schulgemeinschaft die Bewegung in Portugal wahrnimmt, nur schwer nachvollziehbar. ... Man hätte durchaus erwarten können, dass die Schulen als Hort funktionieren für eine offene Debatte darüber, was auf dem Spiel steht.“

Večer (SI) /

Wohl unsere letzte Chance

Slowenische Jugendliche schließen sich am heutigen Freitag erstmals den Protesten an. Večer ist begeistert:

„Das Leugnen, der Egoismus und die Kurzsichtigkeit werden vielleicht durch die neuen Generationen besiegt. Und Greta Thunberg, das Mädchen mit den Zöpfen, hat zweifellos viel dazu beigetragen. Vielleicht ist die Begeisterung vieler, die ihr Treiben unterstützt haben, nicht aufrichtig. Doch ist es sicher richtig, dass dieser Kampf zuallererst in den Händen der Jugend liegt. Wobei es für eine Spaltung in Alt und Jung definitiv zu spät ist. ... Wir haben zu viel Zeit vergeudet und für konkretes Handeln bleibt kaum mehr Zeit. Wahrscheinlich ist das jetzt unsere letzte Chance.“

Jyllands-Posten (DK) /

Nicht nur demonstrieren, sondern auch verzichten

Die Jugendlichen müssen Forderungen nicht zuletzt an ihre eigene Altersgruppe stellen, bemerkt Jyllands-Posten:

„Ein Lackmustest dafür, ob es den Jungen ernst ist, wäre die Frage, ob die Demonstrationen den gleichen Zulauf hätten, wenn sie am Wochenende stattfänden. Ein mindestens ebenso wichtiger Lackmustest ist, ob die Jugendlichen selbst bereit sind, den ersten Schritt zu tun. Der größte Zuwachs beim globalen Stromverbrauch kommt aus Datenzentren. Niemand ist im Internet so aktiv wie die Jungen, und es wäre interessant zu wissen, ob sie ihre Internetnutzung einschränken wollen. Und wären sie bereit, auf Kleidung verzichten, die aus Kunstfasern hergestellt wird, also fossilen Brennstoffen entstammt?“

Expressen (SE) /

Erwachsene müssen jetzt handeln

Expressen hofft, dass Greta Thunbergs Engagement auch auf die ältere Generation übergreift:

„Greta Thunberg kann das Streichholz in den Händen halten, das den Funken entzündet. Junge Menschen in anderen Ländern haben ihren Schulstreik verfolgt: Zehntausende demonstrieren in Belgien, Holland, Deutschland, der Schweiz, England und Australien. In Belgien trat die flämische Umweltministerin Joke Schauvliege zurück, nachdem sie behauptet hatte, dass Umweltdemonstrationen nicht spontan oder überzeugend seien, sondern ein unheilvoller politischer Plan. ... Unabhängig davon, wie hartnäckig diese jungen Menschen sind, wird nichts erreicht werden, wenn nicht Erwachsene ihre Verantwortung übernehmen.“

De Morgen (BE) /

Die Angst der Mächtigen vor der Klima-Jugend

Greta Thunberg traf in Brüssel EU-Kommissionspräsident Juncker. De Morgen rügt, er habe eine herablassende Reaktion gezeigt, und sieht darin ein Zeichen der Schwäche:

„Es geht hier nicht um einen schulfreien Tag. Die Sorgen der Jugendlichen sind aufrichtig und werden von vielen geteilt. Sie überrumpeln eine Führungsklasse, die sich zu lange mit dem 'Nach mir die Sintflut' zufrieden gegeben hat. Ein schmerzliches Symbol dafür war die Begegnung der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg und des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Der alte Spitzenpolitiker hatte für die junge Idealistin nur herablassendes Mitleid im Angebot. Die Klima-Jugend lässt sich nicht in den bekannten Machtstrukturen fangen. Sie sprechen mit Autorität, eben weil sie außerhalb jeder Autoritätsstruktur stehen. “

La Tribune (FR) /

Grüne und gelbe Proteste unter einen Hut bringen

Die Regierenden müssen endlich soziale und klimapolitische Anliegen miteinander vereinbaren, drängt Philippe Mabillle, Chefredakteur von La Tribune:

„Ob in gelben Westen oder mit grünem Anliegen - das Aufwachen der Zivilgesellschaft ist begrüßenswert, vorausgesetzt, die Wut wird in Handeln gemünzt. Die Schwierigkeit für die Regierungen besteht darin, die beiden Kämpfe in Einklang zu bringen. Bislang hatte zugegebenermaßen die Angst vor dem Ende des Monats Vorrang vor der um das Ende der Welt. ... Eine CO2-Steuer muss eingeführt werden, die Einnahmen müssen jedoch vollständig und auf transparente Weise in Form von Beihilfen für die Energiewende umverteilt werden. Die Beispiele Schweden und British Columbia sollten uns als Inspiration dienen. Neben einem sinkenden Energieverbrauch werden dort auch ein stärkeres Wachstum und ein Jobzuwachs im Umweltbereich verzeichnet.“

Zeit Online (DE) /

Lehrreicher als so manche Schulstunde

Dass manche Schulen die Demonstrationen als Grund fürs Fehlen der Schüler nicht akzeptieren, empört Zeit Online:

„Wie verrückt ist das denn! ... Die Kinder von heute können sich nicht darauf verlassen, dass wir die Probleme lösen, unter denen sie morgen leiden werden. Also müssen sie heute selbst dafür kämpfen - auch wenn das gegen die Schulordnung verstößt. ... Auf die unentschuldigten Fehlstunden im Zeugnis sollten sie stolz sein. ... Sie lernen an einem Demotag, beim Aktivieren ihrer Mitschüler, dem Malen von Transparenten, beim Organisieren einer klimaneutralen Anreise und den Diskussionen (vielleicht sogar mit Lehrern und Eltern) mehr über bürgerliches Engagement als in so mancher Politikstunde.“

Le Soir (BE) /

Appell an träge Elite

Für Le Soir hat die junge Klimaschutz-Bewegung großes Potenzial:

„Menschen brauchen einen einenden Mythos, der erlaubt, eine Gesellschaft zu bilden, wie [der israelische Historiker Yuval Noah] Harari schreibt. Wenn die Eliten keinen ausreichend integrierenden Mythos anbieten, entsteht er eben anderswo. Bei den Gelben Westen oder bei den Jugendlichen, die sich entschlossen haben, jede Woche für die Umsetzung einer echten Klimapolitik zu demonstrieren. Zuerst die Schüler, jetzt auch die Studenten. Vergangenen Donnerstag waren es 38.000 auf den Straßen unserer Städte. Wie viele werden es kommende Woche? ... Wenn die Eliten nicht verstehen, dass sie konkrete und schnelle Antworten liefern müssen, dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie beiseite gefegt werden.“

Pravda (SK) /

Von wegen Mitteleuropa ist aus dem Schneider

Die jungen Demonstranten tun das richtige, wenn sie die Politik zum gemeinsamen Handeln aufrufen, findet Pravda:

„Wenn die Regierungen nicht handeln, haben Greta Thunberg und ihre Generation keine rosige Zukunft vor sich. Der UN-Bericht von Ende des vergangenen Jahres über den Klimawandel ist inhaltlich furchtbar, allein schon wegen des dringend warnenden Tons der Wissenschaftler. ... Mitteleuropa kann sich zu den moderaten Vorhersagen für seine Region beglückwünschen. Für den Rest der Welt sieht es deutlich bedrohlicher aus. Freilich: Dieser Rest der Welt wird sich auf den Weg zu uns machen. Wir werden Hunderte Millionen Menschen, die vom Klimawandel bedroht sind, nicht davon abhalten können.“

Sydsvenskan (SE) /

Verbraucher beginnen, auf Greta zu hören

Für Göteborgs-Posten hat sich durch die Initiative von Greta Thunberg Vieles geändert:

„Thunbergs Engagement hat vielerorts junge Menschen inspiriert, und ähnliche Demonstrationen werden jetzt auch anderswo in Europa abgehalten: Belgien, Schweiz, Deutschland. Gleichzeitig gibt es Anzeichen dafür, dass schwedische Verbraucher eine größere Klima-Verantwortung übernehmen. … Anbieter von Second-Hand-Kleidern haben im Dezember gute Geschäfte verzeichnet - während es im Einzelhandel allgemein nicht gerade rund lief. Trotz neuer Rekorderwartungen wurde das schwächste Weihnachtsgeschäft seit 2010 verzeichnet. Hinzu kommt noch das Bewusstsein für Emissionen bei Flugreisen, das nun wohl auch die Reisegewohnheiten der Schweden zu beeinflussen scheint. Die Reisebranche notiert ein wachsendes Interesse, mit dem Zug in den Urlaub zu fahren.“

Der Standard (AT) /

Hass gegen Aktivistin ist Strategie

Mit den Hasstiraden gegen Greta Thunberg, die insbesondere in den sozialen Medien zu beobachten sind, beschäftigt sich Der Standard:

„'Öko-Pippi', 'Klimahysterikerin', 'verhaltensgestört', 'von Untergangsfantasien verfolgt'. Ein Opfer von 'Kindesmissbrauch' sei Greta Thunberg, hinter ihr stünden 'Organisationen, die sie für ihre Zwecke instrumentalisieren' oder - noch schlimmer! - 'Journalisten' und 'Politiker'... Das gehört zur Strategie der Rechtspopulisten. Der Klimawandel ist ihnen egal, weil die Antworten kompliziert sind und allen etwas abverlangen. Das passt nicht ins wahlarithmetische Beuteschema der Populisten. Viel einfacher ist es, Menschen als fremd brandzumarken. Oder als anders, so wie bei Greta Thunberg.“