EVP und Fidesz: Warum nur eine Suspendierung?

Die Europäische Volkspartei setzt die Mitgliedschaft der Fidesz-Partei von Ungarns Premier Viktor Orbán aus. Eine Experten-Kommission soll nun entscheiden, ob die Partei noch zur EVP passt. Orbán akzeptierte die Suspendierung, schloss aber einen späteren Austritt aus der konservativen Parteifamilie ausdrücklich nicht aus. Kommentatoren versuchen, die Motive hinter der EVP-Entscheidung zu ergründen.

Alle Zitate öffnen/schließen
24.hu (HU) /

Hauptsache vor dem Wahlkampf herrscht Ruhe

Manfred Weber traute sich vor der Europawahl nicht, auf die etwas mehr als zehn Fidesz-Mandate zu verzichten, analysiert Péter Petö, stellvertretender Chefredakteur von 24.hu:

„Die könnte er nämlich noch dringend brauchen, wenn er EU-Kommissionspräsident werden will. … Obwohl die Diskussion als Wertedebatte verkauft wurde, zeigt dieser kühle Kompromiss, dass allein machttechnische Erwägungen eine Rolle spielten. Der neu erschaffene 'Rat der Weisen' verdient die Hauptrolle in einem politischen Kabarett. Die Volkspartei verzichtet auf wertebasierte Aufseufzer, weil ihr die Mandate der Fidesz-Partei und die Monate der Ruhe für den Europawahlkampf wichtiger sind, als wir alle dachten.“

Dnevnik (SI) /

Orbán wird sich gerne gedulden

Warum die Entscheidung der EVP Viktor Orbán nicht aus der Ruhe bringen dürfte, erklärt Dnevnik:

„Innerhalb der EVP ändern sich die Machtverhältnisse, die CDU gewinnt mit der konservativeren Politik von Annegret Kramp-Karrenbauer an Bedeutung. Orbán fühlt sich in diesem Kreis also weiterhin wohl, obwohl er suspendiert ist. Er blickt nämlich optimistisch auf die Zeit nach der Europawahl, wenn sich die EVP entscheiden muss, in welche politische Richtung sie dann geht - nach links oder nach rechts in Richtung der Populisten. Die EVP hat ihre christlichen Werte nicht erneuert. Sie hat eine etwaige Erneuerung nur auf die Zeit nach der Wahl verschoben.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Brücken abreißen hilft ja nicht

Die Suspendierung der Fidesz-Partei von Viktor Orbán hält der Tages-Anzeiger für einen schlauen Kompromiss,

„weil in Europa inzwischen fast jedes Land seinen Orbán hat. So haben Europas Sozialdemokraten zum Beispiel ein akutes Problem mit ihren rumänischen Genossen, die sich in Bukarest bereichern und ähnlich wie Viktor Orbán in Ungarn den Abbau des Rechtsstaates vorantreiben. Ausgrenzen und Brücken abreissen helfen da nicht viel, im Gegenteil. Es gibt zum einen den Riss durch Europa, zwischen Ost und West. ... Es gibt aber auch in fast jedem Land heute eine Polarisierung, die auf Dauer die Gesellschaften auseinanderreisst. Politiker wie Viktor Orbán müssen konfrontiert werden, unter anderem auch mit ihren eigenen Widersprüchen.“

Rzeczpospolita (PL) /

Euroskeptiker sind EVP dicht auf den Fersen

Für Rzeczpospolita offenbart die Fidesz-Affäre eine geschwächte EVP:

„Fidesz wurde als Mitglied der Europäischen Volkspartei nur suspendiert und nicht ausgeschlossen. Der Vorsitzende dieser immer noch größten Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, erklärt, dass er sich täglich an 'europäische Werte' halte. Aber er macht das auch nur dann, wenn er damit seinen Kampf um die Präsidentschaft der Europäischen Kommission nicht gefährdet. Dieser Kampf könnte umsonst sein, wenn sich die Fidesz-Partei den EU-skeptischen Europäischen Konservativen und Reformern (ECR) anschließt, zu denen die PiS und die britischen Tories gehören. Sogar ohne Fidesz ist der ECR dabei, zur zweitwichtigsten oder vielleicht sogar wichtigsten Macht im Europäischen Parlament zu werden.“