Slowakei: Kann Čaputová die Erwartungen erfüllen?

Zuzana Čaputová, künftige Präsidentin der Slowakei, verspricht in vielerlei Hinsicht einen Wandel: Die 45-jährige liberale Rechtsanwältin und Umweltaktivistin kam als Quereinsteigerin in die Politik. Entsprechend hoch sind die Erwartungen. Doch einige Beobachter warnen vor zu viel Euphorie.

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Tages-Anzeiger (CH) /

In den Fußstapfen Václav Havels

Dies ist eine Zeitenwende, beobachtet der Tages-Anzeiger:

„Anhänger und Kommentatoren zitieren nun wieder häufig den Satz Václav Havels: 'Wahrheit und Liebe siegen über Lüge und Hass.' Čaputová orientiert sich an dem legendären früheren Präsidenten und wird im Nachbarland Tschechien selbst zum Vorbild. Eine neue, unbelastete Generation sollte jetzt in der Slowakei die Chance ergreifen, Havels Erbe zu erfüllen. Es liegt in ihrer Hand, den autoritären Staat, den Sumpf der Neunziger, die politischen Irrwege endlich hinter sich zu lassen und sich für ein gerechteres politisches System einzusetzen.“

Sydsvenskan (SE) /

Mitteleuropa ist nicht an den Populismus verloren

Als Zeichen der Hoffnung sieht auch Sydsvenskan das Wahlergebnis an:

„Es besteht ein dringendes Bedürfnis nach einer klaren Stimme für Offenheit und Liberalismus in Mitteleuropa. Die gesamte demokratische Welt braucht mehr solcher Beispiele dafür, wie das Establishment ohne populistische Botschaften, ohne übertriebene Überschriften, ohne Hassrhetorik herausgefordert werden kann. ... Das gibt Hoffnung, dass sich die politischen Strömungen in Mitteleuropa nicht nach dem gleichen Muster wie bisher weiterentwickeln müssen. Es ist nicht vorherbestimmt, dass die Spannungen innerhalb der EU zunehmen. Es ist möglich, Begeisterung für liberale Linien zu wecken. Zuzana Čaputová erinnert Europa ganz einfach an die Kunst des Möglichen.“

Népszava (HU) /

Slowaken sind die Musterschüler der EU

Die Wahl von Zuzana Čaputová zeigt, was die Slowakei von den anderen Visegrád-Staaten unterscheidet, meint Népszava:

„Die vier Visegrád-Staaten stehen für vier verschiedene Richtungen. Die Slowaken bemühen sich darum, in der EU die Musterschüler zu sein. Zwar haben auch sie sich mit Händen und Füßen gegen die Flüchtlingsquote zur Wehr gesetzt, aber sie haben daraus keine Grundsatzfrage gemacht und kein Geschrei gegen das 'Diktat aus Brüssel' angestimmt. Und einige dutzend gut überprüfte Migranten haben sie sogar aufgenommen. Entscheidend ist, dass sie zum sogenannten 'Kerneuropa' gehören wollen.“

Lidové noviny (CZ) /

Präsidentin kann nicht durchregieren

Zu etwas mehr Nüchternheit bei der Bewertung des Wahlausgangs rät Lidové noviny:

„Es ist gut, dass Čaputová gewonnen hat. Aber die Vollmachten ermöglichen es dem Staatsoberhaupt der Slowakei nicht, dass es wirklich etwas durchsetzt, schon gar nicht Gerechtigkeit. ... Die Slowakei bekommt jetzt etwas, was die Franzosen Kohabitation nennen. Es wird auch Konfrontation geben. Aber wird sie wirklich so hart? Ein Blick aufs benachbarte Österreich, wo schon seit eineinhalb Jahren Kohabitation zwischen dem grünen Präsidenten Van der Bellen und einer Regierung mit Beteiligung der FPÖ herrscht, zeigt, dass das alles auch ohne harte Konfrontation geht.“

Denník N (SK) /

Bürger wollen Fico-Ära ad acta legen

Bei der Präsidentschaftswahl ging es auch um eine Abrechnung mit dem immer noch mächtigen Ex-Premier Robert Fico, heißt es in Denik N:

„Zuzana Čaputová steht für einen Wandel. Denn obwohl wir nicht über Parlament und Regierung abgestimmt haben, hatten wir alle das Gefühl, dass da auch der Ex-Premier im Spiel war. Čaputová verkörpert die Hoffnung, dass die Fico-Ära wirklich endet. ... Dies alles bedeutet aber nicht, dass jetzt ein Märchen beginnt. Wir haben nicht nur das demokratische Lager, das Fico und seinen Dienern gegenüber steht, sondern sind auch mit Anti-System-Politikern konfrontiert, die immer mehr Menschen erreichen. Daher könnte die nächste Parlamentswahl ein großes Chaos bringen.“

Mladá fronta dnes (CZ) /

Keine allmächtige Zarin

Zurück auf den Boden der Tatsachen holt Mladá fronta dnes diejenigen, die Čaputovás Wahlsieg feiern:

„Es ist nicht leicht, aus der Position des Staatsoberhauptes die Politik der mächtigen Parteien zu ändern. Dazu fehlen der Präsidentin die Vollmachten. Aus den Reaktionen auf Facebook konnte man zwar den Eindruck gewinnen, die Menschen hätten eine Art Zarin gewählt. Doch die Realität ist eine andere. ... Čaputová ist sogar noch in einer schwierigeren Lage als ihr Vorgänger Andrej Kiska, weil die Euphorie nach ihrer Wahl größer ist. Zudem hat sie die Aufgabe, die Wähler vom nationalistischen rechten Rand wieder einzufangen.“

Večernji list (HR) /

Dämpfer für die Visegrád-Gruppe

Es scheint, als hätte man in der Slowakei die Nase voll von anti-europäischer Politik, analysiert Večernji list:

„Der Sieg von Zuzana Čaputová ist eine bittere Pille für die Länder, die als Visegrád-Gruppe bekannt sind (Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei) - und ein Schlag ins Gesicht vor allem für die antieuropäische Politik des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán. Čaputová hat die Wähler mit einem pro-europäischen Programm angezogen, sowie der Ankündigung, gegen Korruption vorgehen zu wollen und sich für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einzusetzen.“

Le Temps (CH) /

Osteuropa findet sein Wahlkampfthema

Der Wahlausgang in der Slowakei zeigt, dass in Osteuropa mittlerweile ein Thema auf der Agenda ganz oben steht, glaubt Le Temps:

„Die massive Protestbewegung [nach der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak] hat schließlich im Wahlergebnis ihren Ausdruck gefunden. Zuzana Čaputová war im Zuge der Proteste in die Politik gegangen und wurde zu ihrem Gesicht. … In den vergangenen Jahren haben Ungarns Premier Viktor Orbán und seine Partner in der Region voll auf die Angst vor einer Flüchtlingsinvasion gesetzt und die zögerlichen Versuche der EU-Kommission, die Flüchtlinge zu verteilen, als Diktat angeprangert. Doch aktuell ist der Druck deutlich schwächer als in der kritischsten Phase der Krise 2015 und Europa ist längst nicht so durchlässig geworden, wie die osteuropäischen EU-Skeptiker es darstellten. Gut möglich, dass ihnen ein anderes, weitaus lästigeres Wahlkampfthema aufgedrängt wird: Korruption.“