Deutsche Wirtschaft auf Schrumpfkurs

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gesunken. Als Ursache gelten internationale Handelskonflikte und der unklare Brexit-Fahrplan. Beobachter fürchten, dass sich der Schrumpfkurs auch auf andere Länder auswirkt. Wie muss Europas größte Volkswirtschaft jetzt reagieren?

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Handelsblatt (DE) /

Verlierer der Deglobalisierung

Deutschlands exportorientiertes Wachstumsmodell ist grundlegend gefährdet, fürchtet der Chefökonom des Handelsblatts, Professor Bert Rürup:

„Hauptgrund für die ... getrübten Perspektiven ist neben den wirtschaftspolitischen Versäumnissen der letzten Jahre die sich abzeichnende Deglobalisierung. ... Am Ende dieser Entwicklung steht womöglich eine zweigeteilte Globalisierung. Die eine Hälfte der Welt folgt Pekings Spielregeln, die andere denen Washingtons. Deutschland ist in dieser Auseinandersetzung nur Zuschauer, doch unbeteiligt ist es nicht. Denn echten Freihandel, von dem die deutsche Industrie so lange profitiert hat, wird es in dieser neuen bipolaren Welt nicht mehr geben. ... [D]ie Zeiten, in denen Deutschland fast monopolartig die Welt mit hochwertigen Maschinen, Autos und Chemikalien versorgte, neigen sich mit dem Aufstieg Chinas zur zweiten Hegemonialmacht ... dem Ende zu.“

El País (ES) /

In Infrastruktur und grüne Energie investieren

Angesichts der Konjunkturabkühlung kann es für Deutschland nur einen Weg geben, meint El País:

„Weil die Spannungen in den Handelsbeziehungen nicht so bald enden werden, sind nun zwingend entsprechende Entscheidungen zu treffen. ... Deutschland muss den großen Spielraum nutzen, den ihm seine Finanzlage bietet, und Konjunkturprogramme mit öffentlichen Investitionen in Straßen, digitale Infrastruktur, in erneuerbare Energien oder in andere Projekte auflegen. Nur so kann es dem hohen Risiko einer Rezession vorbeugen, das auch die übrigen europäischen Volkswirtschaften bedroht. ... Eine eiserne Sparpolitik wäre jetzt das schlechteste Rezept für den Wohlstand und die Stabilität Gesamteuropas.“

Delo (SI) /

Sparen wäre gefährlich

Deutschland braucht dringend einen Digitalisierungsschub, ist sich Delo sicher:

„Unter den globalen Tech-Riesen ist kein einziges deutsches Unternehmen. ... Die Weltwirtschaft wird nicht mehr von der klassischen Stahl- und Ölindustrie angetrieben, sondern immer mehr von den Dienstleistungen. Schreitet die vierte Industrierevolution weiter voran, die nun die Industrie verdrängen könnte wie einst die Dampfmaschine die Landwirtschaft, werden Dienstleistungen das Primat der Wertschöpfung übernehmen. Und dann hat Deutschland ernsthafte Probleme. ... Auch Sparen um jeden Preis könnte sich dann als gefährlich herausstellen. ... Es wäre ein willkommenes Signal an Europa, würde Deutschland statt einer Scheuklappenpolitik eine pragmatische Wirtschaftspolitik machen.“

Verslo žinios (LT) /

Wachstum ist nicht unendlich

Die Entwicklung der Wirtschaftsleistung folgt einem Zyklus, das sollten die Unternehmen nicht vergessen, mahnt die Wirtschaftszeitung Verslo žinios:

„Die schlechter werdenden Werte der Unternehmen und der schrumpfende Konsum der Haushalte in der Eurozone senden die ersten Signale, dass sich die Wirtschaft verlangsamt. Wenn wir in diese sich zyklisch wiederholende Etappe eintreten, sollten die Unternehmen ihre Möglichkeiten der Planung überdenken. Auch sollten sie prüfen, ob es auf den Märkten, auf denen sie agieren, neue Trends gibt. ... Natürlich war das Wachstum stark, nachdem wir den Tiefpunkt [der letzten Krise] erreicht hatten. Doch jetzt werden wir uns wieder an die Verlangsamung des Zyklus gewöhnen müssen.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Jetzt in Infrastruktur investieren

Das deutsche BIP ist im vergangenen Quartal erneut um 0,1 Prozentpunkte gesunken und Deutschland ist nun beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht in der Eurozone. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem der Staat als Stabilisator eingreifen muss, fordert die Frankfurter Rundschau:

„[M]it einem mindestens auf fünf Jahre angelegten Programm zum Ausbau der Infrastruktur. Und das wäre erheblich mehr als nur ein Stimmungsaufheller. Vielmehr können nur so die Klimaschutzziele erreicht, die Wohnungsnot in Städten bekämpft und schnelles Internet überall zur Verfügung gestellt werden. Zudem sind die Finanzierungsbedingungen so gut wie nie. Wenn sich der Staat heute Geld leiht, muss er nicht nur keine Zinsen zahlen, er bekommt sogar noch eine Gebühr von den Investoren dafür, dass sie ihr Kapital zur Verfügung stellen dürfen. Und: Ganz nebenbei macht sich Deutschland fit für die Zukunft.“

NRC (NL) /

Niederländer müssen sich warm anziehen

Die niederländische Wirtschaft wächst derzeit leicht im Gegensatz zur deutschen. Doch das wird nicht mehr lang so bleiben, warnt NRC Handelsblad:

„Wenn Deutschland niest, dann sind die Niederlande erkältet. Um bei diesem Bild zu bleiben: Die Niederlande sollten besser schon jetzt Taschentücher kaufen gehen. ... Das niederländische Wachstum wird vor allem durch inländischen Konsum, durch Investitionen und durch Ausfuhr von Dienstleistungen verursacht. ... Aber der Export von in den Niederlanden produzierten Produkten ging zurück. ... Immun vor den Ereignissen in der Welt sind die Niederlande - eine offene Wirtschaft - sicher nicht. ... Großbritannien, nach Deutschland das Land, mit dem die Niederlande am meisten Geld mit dem Export verdienen, stellte einen Rückgang des BIP von 0,2 Prozent im zweiten Quartal fest. Und der Brexit kommt erst noch.“

La Repubblica (IT) /

Trumps Sieg über Berlin und Peking

Deutschland ist wie China Opfer des US-amerikanischen Protektionismus, erklärt der USA- und China-Experte Federico Rampini in La Repubblica:

„In gewisser Weise sind die chinesischen und deutschen Probleme ein Sieg für Donald Trump. Ob es ein Pyrrhussieg ist, sei dahingestellt. Fest steht, dass der US-Präsident es vom ersten Tag nach seiner Amtseinführung im Weißen Haus auf die übermäßigen Handelsüberschüsse von Berlin und Peking abgesehen hatte. Mit seinen Zöllen hat er die Schuldigen abgestraft: In größerem Maße das 'Made in China' als das 'Made in Germany', aber auch hier drohen neue Zölle. ... Zwei wirtschaftliche Supermächte, die daran gewöhnt waren, uneingeschränkten Zugang zum US-Markt zu haben, werden durch die schrittweise Schließung dieses Marktes verarmt.“

Jutarnji list (HR) /

Beunruhigende Zahlen

Mehrere europäische Länder zeigen derzeit miserable wirtschaftliche Kennzahlen, beobachtet Jutarnji list:

„Die britische Wirtschaft ist im zweiten Quartal zum ersten Mal in den letzten sieben Jahren geschrumpft. Frankreich hat den Juni mit einem rasanten Fall der Industrieproduktion abgeschlossen. Und Deutschland hat mit einem Rückgang der Industrieproduktion von 5,2 Prozent im Jahresvergleich die Schwelle der Rezession berührt, das erste Mal nach sechs fetten Jahren. Addiert man das permanent besorgniserregende wirtschaftliche Ergebnis Italiens, blicken wir dem Herbst sorgenvoller als erwartet entgegen. Kommt eine neue große Krise, bevor wir es geschafft haben, die vorherige zu vergessen?“

O Jornal Económico (PT) /

Kein Grund zur Panik

Schwarzmalerei ist vorerst übertrieben, meint hingegen Jornal Económico:

„Die Rezession ist kein irreversibler Prozess, insbesondere bei aufmerksamen Zentralbanken. Es gibt auch Daten, die auf ein Wachstum der großen Volkswirtschaften hinweisen. Es wird erwartet, dass die Volkswirtschaften 2019 und 2020 weiter wachsen werden, wenn auch langsamer und, laut Prognosen, mit größeren Risiken. ... Die Zentralbanken sind besser vorbereitet als zu anderen ähnlichen Zeiten, sodass die Nachricht von der Unvermeidlichkeit einer Rezession und einem Teufelskreis an den Finanzmärkten vorerst übertrieben sein könnte.“

Blog David McWilliams (IE) /

Fatale Fehleinschätzung der Zentralbanken

Durch Zinssenkungen können Zentralbanken in der neuen digitalen Welt die Inflation nicht mehr ankurbeln, kritisiert Blogger David McWilliams die jüngsten Schritte der US-Notenbank und erläutert das am Beispiel des Taxidienstleisters Uber:

„Uber versucht, die Preise immer weiter zu drücken, bis Mitbewerber eliminiert sind. ... Um das zu schaffen, braucht Uber Investoren, für die Verluste über einen langen Zeitraum vertretbar sind. Nur so kann das Unternehmen als großer Sieger enden. Ziel ist es, als Letzter in seinem Markt übrig zu bleiben. Doch das ist nur möglich, wenn die Zinsen niedrig sind. Nur wenn Geld sehr billig ist, sind Investoren bereit, unendlich lange [auf Erträge] zu warten. ... Wenn Zentralbanken so wie in der vergangenen Woche in Panik die Zinsen senken, befördern sie damit in absehbarer Zeit einen weiteren Fall der Preise und nicht einen Anstieg.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Sorgen um Konjunktur sind übertrieben

Dass die wirtschaftliche Situation ein Eingreifen der EZB erfordert, bezweifelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Tatsächlich trübt sich die Konjunktur ein. ... Doch auch wenn die Konjunktur in Europa sich unbestritten verschlechtert, steht bislang jedenfalls keine fundamentale Rezession ins Haus, und die Abweichung der aktuellen Inflationsrate vom Inflationsziel der Europäischen Zentralbank ist nicht so dramatisch, dass sie eine kräftige geldpolitische Reaktion dringend erforderte. Die Europäische Zentralbank sollte das ruhig abwägen. Immerhin sind die Einlagenzinsen für Banken schon jetzt im Minus, und das letzte Anleihekaufprogramm ist kaum verdaut. Ein umfangreiches Lockerungspaket, wie viele Banken es jetzt von der EZB für September oder Oktober erwarten, will da zumindest wohlüberlegt sein.“

Rzeczpospolita (PL) /

Früher oder später wird es uns erwischen

Die Rezession wird kommen, sorgt sich Rzeczpospolita:

„Die schlechten Zahlen der deutschen Industrie werden sich wohl bald negativ auf die Dienstleistungen auswirken. In Polen, dessen Hauptwirtschaftspartner Deutschland ist, ist der Effekt bereits spürbar. Unsere Industrie ist infiziert, ihre Bilanz fällt enttäuschend aus. Anderen europäischen Ländern wird es ebenfalls schlecht gehen. Experten sprechen bereits von einem hohen Risiko einer globalen Rezession. ... Vielleicht fängt die Krise gerade erst an, vielleicht können wir bald eine Besserung erwarten, wenn etwa China ein Abkommen mit Washington schließt. Dann können wir für einen Moment durchatmen. Doch früher oder später wird es uns erwischen. Deshalb ist es besser, wir bereiten uns schon jetzt darauf vor.“

De Volkskrant (NL) /

Europas Motor stockt

Eine wirtschaftliche Krise in Deutschland käme zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt für Europa, warnt De Volkskrant:

„Die Eurokrise von 2012 konnte noch abgewendet werden durch die Klugheit von EZB-Präsident Draghi. Doch langfristig war das Angela Merkel zu verdanken, die den kräftigen deutschen Motor entschlossen im Griff hatte. Sie konnte einem Land wie Griechenland helfen und einen Grexit verhindern. Damals war Merkel auf dem Höhepunkt ihrer Macht, nun steht sie vor deren Ende. Es droht ein neues Euro-Problem in Südeuropa, da der Rechtspopulist Matteo Salvini denselben Griff zur Macht anstrebt wie damals der linke Populist Alexis Tsipras in Griechenland. ... Falls Deutschland in die Rezession schlittert, wird das Land wenig Lust haben, wieder die Führung in einer Krise zu übernehmen.“

Delo (SI) /

Weitsicht zahlt sich aus

Nur wer für schlechte Zeiten vorgesorgt hat, wird die aufkommende Krise gut überstehen, prognostiziert Delo:

„Viele slowenische Unternehmen haben das solide Wirtschaftswachstum seit der letzten Krise genutzt für die Entwicklung neuer Produkte, eine Produktionssteigerung, die Erschließung neuer Märkte sowie die Akquise neuer Käufer und Projekte. ... Diese Unternehmen berichten, den Auftragsausfall mit neuen Geschäftsfeldern abgedeckt zu haben. Einige Unternehmen mit hochtechnologischen Produkten, wie zum Beispiel das auf Messtechnik spezialisierte Unternehmen Dewesoft, verbuchen sogar ein außerordentliches Wachstum. Andere Firmen hingegen, die die Zeiten der günstigen Wirtschaftsbedingungen verschlafen und nicht an die Zukunft gedacht haben, reagieren nun auf die deutsche Wirtschaftskrise weit weniger immun.“

Dagens Nyheter (SE) /

Politisches Versagen führt in die Katastrophe

Auch für Dagens Nyheter befindet sich die Weltwirtschaft in einer äußerst kritischen Situation:

„Einem Zollkrieg zwischen den USA und China geht eine mögliche Rezession voraus. ... Was noch schlimmer ist: Nicht nur die Beziehung zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt kriselt. ... Auch die EU steht vor der vielleicht größten Herausforderung, die sie je hatte, wenn der Brexit Realität wird. ... Jetzt scheint sich die britische Regierung auch noch darauf zu konzentrieren, ohne Absprache zu gehen. Dies wird die Volkswirtschaften auf beiden Seiten des Ärmelkanals mit Schockwellen erschüttern. ... Wahrscheinlich stand es seit der Finanzkrise 2008 noch nie so schlecht um die Weltwirtschaft. Der Grund dafür ist die Politik.“

De Tijd (BE) /

Goldpreis ist Barometer der Angst

De Tijd erkennt ein weiteres Warnsignal:

„Dass Gold wieder so begehrt ist, spiegelt die größere Unsicherheit wieder, die sich in den Finanzmärkten eingeschlichen hat und die unter anderem durch den eskalierenden Handelskrieg zwischen den USA und China geschürt wird. ... Hinzu kommen die geopolitischen Spannungen. Vorläufig sieht es nicht danach aus, dass sich die Kraftprobe zwischen den USA und China militärisch fortsetzt. ... Aber die militärische Spannung steigt im Mittleren Osten, wo sich der Iran und die USA frontal gegenüber stehen. ... Viel fehlt nicht, bis der Funken ins Pulverfass fliegt. Vielleicht wird alles nicht so schlimm. Aber der Goldpreis ist ein Barometer der Angst. Es gibt an, dass der Schrecken bei einer zunehmenden Zahl von Anlegern tief sitzt.“

La Stampa (IT) /

Die Ansteckungsgefahr ist hoch

Besonders besorgt ist der Wirtschaftsexperte Mario Deaglio in La Stampa über den Rückgang der Industrie-Produktion in Deutschland:

„Zu den externen Faktoren zählt der Handelskrieg zwischen den USA und China - beide Großkunden Deutschlands. ... Zu den internen Faktoren zählen die Schwäche einiger Großbanken, die nicht brillanten Ergebnisse vieler Großunternehmen, die Immobilienblase, die die Deutschen - Bürger eines alternden Landes - dazu treibt, beim täglichen Konsum zu sparen, um ein Haus zu kaufen. ... Das Problem ist: Deutschland ist unser bester Kunde. ... Unsere Industrie-Exporte nach Deutschland übersteigen deutlich eine Milliarde Euro pro Woche und decken die gesamte Produktionskette ab, vom Lebensmittel bis zum Auto, von der Metallurgie bis zur Chemie.“