Kopfzerbrechen nach der Wahl in Thüringen

Die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow hat die Landtagswahl in Thüringen gewonnen und ist mit 31 Prozent erstmals stärkste Kraft in einem Bundesland. Die bisherige Koalition Linke-SPD-Grüne verlor aber ihre Mehrheit. Auf dem zweiten Platz landete mit rund 23 Prozent die rechtspopulistische AfD. Kommentatoren überlegen, ob die Zeit reif ist für ein unkonventionelles Bündnis.

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Magyar Nemzet (HU) /

Linke könnte vor dem Durchbruch stehen

Wie schwierig nun die Regierungsbildung wird, skizziert Magyar Nemzet:

„Mehr als die Hälfte der Thüringer Stimmen haben die zwei extremistischen Protestparteien erhalten. Keine politische Kraft ist bereit, sich mit der AfD zusammenzutun, während Die Linke, die das ostdeutsche Lebensgefühl - und die Frustration des Ostens gegenüber dem Westen - ausdrückt, von den Christdemokraten bisher nicht als koalitionsfähige Partei betrachtet wurde. Falls sich das ändert, wäre das ein Durchbruch in der deutschen Politik. Die radikale Linke hat in diesem Jahr schon einmal so einen Durchbruch erreicht: Nach der Wahl in Bremen ist sie zum ersten Mal in einem westdeutschen Bundesland an die Regierung gekommen.“

Berliner Zeitung (DE) /

Jetzt keine Denkverbote

Über eine Koalition von Linke und CDU sollte tatsächlich ernsthaft nachgedacht werden, findet der Chefredakteur der Berliner Zeitung, Jochen Arntz:

„Eine ungewöhnliche Regierung, die Thüringen erstmal davor schützt unregierbar zu werden - und auch die Chance böte, aus dem üblichen Lagerdenken auszubrechen und die zunehmende Polarisierung im Land zu überwinden. Bodo Ramelow, der eher pragmatische Linke, hatte das übrigens nie ganz ausgeschlossen, wenn man sich richtig erinnert. Es wäre jetzt wohl vor allem an der CDU in Thüringen - und sicherlich auch an der CDU in Berlin - sich der Aufgabe zu stellen, Denkverbote aufzugeben und Polarisierungen zu überwinden. Um eine Gesellschaft und die Zukunft nicht jener Kraft zu überlassen, die nur an die Polarisierung glaubt: der AfD.“

Bild (DE) /

CDU darf Glaubwürdigkeit nicht verlieren

Bild hingegen ist entsetzt über die Gedankenspiele einer Zusammenarbeit von Linken und CDU:

„Ja, Bodo Ramelow mag ein netter Mensch sein, er ist auch politisch nicht so verblendet wie andere in seiner Partei. Aber natürlich kann man Ramelow nicht unabhängig von der Linkspartei betrachten. Es ist die Partei, die die DDR NICHT klar als Unrechtsstaat benennen will, in der immer noch alte SED-Kader ein gemütliches Leben führen - und die mit brutalen Diktatoren wie Nicolas Maduro in Venezuela paktiert und Delegationen zu Syriens Schlächter Assad schickt. Für eine CDU, die nicht völlig unglaubwürdig und beliebig werden will, gibt es für Einladungen zu einer Koalition mit den Linken nur eine Antwort: Nein!“

Le Soir (BE) /

Die Dämme brechen

Mit dem Stimmenzuwachs der AfD in Thüringen und der Lega in Umbrien setzt sich ein düsterer Trend fort, notiert Le Soir:

„Großbritannien hat sich in einem nicht enden wollenden Brexit verfangen, die EU-Kommission schafft es nicht, im vorgesehenen Zeitrahmen ihr Amt anzutreten, Merkels große Koalition droht zu scheitern. … Je weiter die extreme Rechte aufsteigt, desto stärker lösen sich ihre Gegner auf! Wie sind diese tödlichen Wählertriebe aufzuhalten? Viele Blicke richten sich auf die Erfahrung 'Macron'. Man ertappt sich jedoch dabei, sich zu freuen, dass die Präsidentschaftswahl noch in weiter Ferne liegt, so sehr fürchtet man, dass auch der französische Damm bricht.“

Mladá fronta dnes (CZ) /

Nur die AfD ist wirklich anders

Politologe Petr Robejšek verhehlt in einem Gastkommentar für Mladá fronta dnes nicht seine Sympathie für die AfD:

„Alle Parteien handeln seit dem Entstehen der AfD nach dem gleichen Muster: jeder mit jedem, aber alle gegen die AfD. Und so vertreten alle deutschen Parteien mit Ausnahme der AfD in den heutigen Grundsatzfragen die gleiche Meinung. Sie unterscheiden sich nur darin, dass sie dieselbe Medizin in verschiedenen Dosierungen verschreiben. Einzig die AfD hat ein wirklich anderes Programm und zieht damit die unzufriedenen Wähler an.“