Finnlands neue Regierung: Zu jung und zu weiblich?

Sanna Marin wird neue finnische Premierministerin - mit 34 Jahren die bis dato jüngste in der Geschichte des Landes. Die bisherige Verkehrs- und Kommunikationsministerin wurde von den Sozialdemokraten zur Kandidatin bestimmt. Aller Voraussicht nach wählt das Parlament sie am heutigen Dienstag ins Amt. Die Personalie ruft nicht nur in der finnischen Presse ein großes Echo hervor.

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The Daily Telegraph (GB) /

Selbstüberschätzung der Jugend

The Daily Telegraph kann nichts mit einer Verjüngung der Politik anfangen:

„Junge Politiker prangern das, was vor ihnen gemacht wurde, gerne als Einheitsbrei und Pfusch an. … Sie behaupten, dass ihre Generation ignoriert wurde - und nutzen dies als Vorwand, um selbst das leichtfertig zu ignorieren, was sie nicht mögen. ... Die Jugend mag mit Glanz und Selbstvertrauen antreten. Aber die Leute erkennen, womit sie es zu tun haben: Mit der flüchtigen Selbstüberschätzung, die sie selbst hatten, bevor sie erwachsen wurden. Politik ist nicht Hollywood, wo das Neue, Strahlende überzeugen kann, ohne dass etwas dahinter steckt.“

La Repubblica (IT) /

Misstrauisches Macho-Italien

Die Aufregung in Italien über das junge und weibliche Kabinett in Finnland hält Kolumnist Gad Lerner in La Repubblica für ein Zeichen von Rückständigkeit:

„Das Quintett aus Parteiführerinnen und finnischen Ministerinnen kann nur in unseren Breitengraden als exzentrisch empfunden werden. ... Wir sollten aufwachen: Überall in Europa hat die Geschichte der Emanzipation der Frauen ihren natürlichen Lauf bereits vollendet. In Skandinavien, sicherlich, aber nicht nur dort. Auch in den Büros der Macht in Brüssel und Frankfurt. Ob es wohl (auch) das viele Rosa auf den wichtigen Posten ist, das das Misstrauen der Machosouveränisten unseres Landes erweckt?“

Polityka (PL) /

Auch Finnland hat eine gläserne Decke

Polityka erinnert daran, dass auch in Finnland Frauen benachteiligt werden:

„Es ist wahr, dass Finnland in Bezug auf die Geschlechtergleichheit besser dasteht als viele andere Gesellschaften (das Land hatte bereits eine Präsidentin, eine Premierministerin und eine Parlamentspräsidentin). Auch im Alltag ist die Rolle der Frau stark. Trotzdem gibt es eine gläserne Decke, wenn es um die wirkliche Macht geht: die Wirtschaft. ... Der Frauenanteil in den Führungsebenen der Unternehmen ist in Skandinavien kleiner als in den USA, obwohl in den USA alle 45 Präsidenten und 48 Vizepräsidenten ausschließlich Männer waren.“

Karjalainen (FI) /

Marin rückt Land nach links

Die künftige Premierministerin wird in ihrer Partei neue Akzente setzen, glaubt Karjalainen:

„Unter Marin werden die Sozialdemokraten gegenüber dem letzten Jahrzehnt eindeutig weiter nach links rücken und damit bei Wahlen auch mit den Grünen um Wählerstimmen konkurrieren. ... Das ist für die Partei auch ein Risiko. Es wird zumindest nicht den Wählerschwund in Richtung der rechtspopulistischen Finnen stoppen. Die 34-jährige Sanna Marin kann aber durchaus zu einem neuen Phänomen werden. Eigentlich ist sie das sogar bereits. Marin ist bei den Wählern sehr schnell zur interessantesten Person ihrer Partei aufgestiegen. ... Dazu trägt auch ihr Alter bei. Marin wird Finnlands bisher jüngste Premierministerin und auch weltweit gibt es derzeit keinen jüngeren Premier.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Berechenbare Kontinuität, neuer Stil

Mit Marin wird es künftig weniger Überraschungen geben, prophezeit Helsingin Sanomat:

„Wahrscheinlich sind die Veränderungen, die Marins Sieg mit sich bringt, sogar noch kleiner - wenn das überhaupt möglich ist - als sie nach einem Sieg [ihres parteiinternen Rivalen] Lindtman gewesen wären. Schließlich hat Marin schon ein halbes Jahr als Ministerin in Rinnes Regierung gedient. Alles geht also so weiter wie bisher. Der Politikstil jedoch könnte sich ändern. Antti Rinnes Amtszeit als Premier war von einer gewissen Unberechenbarkeit geprägt. Im Parlament gab Rinne manchmal überraschende Erklärungen ab, über die die Koalitionspartner im Vorfeld nicht informiert waren. Das werden wir mit Marin als Premierministerin sicher nicht erleben. Sie ist dafür bekannt, alles stets fest unter Kontrolle zu haben.“