Deutschland: Sterbehilfeverbot gekippt

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe am Mittwoch für verfassungswidrig erklärt, weil es gegen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verstoße. Das 2015 eingeführte Gesetz machte den assistierten Suizid nur für Angehörige straffrei; Mitglieder von Sterbehilfevereinen und Mediziner konnten dafür ins Gefängnis kommen. Kommentatoren begrüßen das Urteil.

Alle Zitate öffnen/schließen
Zeit Online (DE) /

Endlich ist das Tabu gefallen

Das Urteil bedeutet vor allem für die Angehörigen eine Entlastung, meint Zeit Online:

„Denn auf ihren Schultern lastete zuletzt das ganze Gewicht der Verantwortung. ... [S]ie [waren] die einzigen, die straffrei beim Suizid assistieren durften. Sie waren es, die dem schwer erkrankten Ehepartner oder der Mutter, die angesichts ihrer ausweglosen medizinischen Lage keinen Sinn mehr im Weiterleben sahen und dem eigenen Leiden ein Ende bereiten wollten, den Medikamentencocktail anrührten. Sie waren es, die dem Bruder die Spritze bereitlegten oder der Tochter die tödliche Pille reichten - oder eben nicht. ... Jetzt können Palliativmediziner und Patienten wieder offen sprechen, das Tabu ist gefallen. Aber ein offenes Gespräch bedeutet auch, dass Ärztinnen und Ärzte Alternativen aufzeigen können, so lange es welche gibt. Sterbehilfe kann immer nur der allerletzte Ausweg sein.“

Wiener Zeitung (AT) /

Freiheit ist gut, aber auch Skepsis ist angebracht

Einen Sieg des liberalen Individualismus erkennt die Wiener Zeitung in dem Urteil:

„Die Überzeugung, dass zu einem selbstbestimmten Leben auch ein selbstbestimmter Tod gehört, ist daher in sich schlüssig. Sie passt in die Gegenwart. Die Idee, dass das Leben ein Geschenk sein könnte, das man aus Prinzip nicht weggibt, ist aus einer anderen Zeit. Ob es damals schlecht war und heute besser, muss ebenfalls jeder für sich bestimmen. Auch deshalb ist dieses Urteil ein weiterer Sieg des liberalen Individualismus, der sein eigenes Wollen zum Maß nimmt. Diesem Denken verdanken wir das Ausmaß unserer Freiheit als Ich und Wir. Umgekehrt gibt es kein Gebot, dass jeder Sieg auch laut bejubelt werden muss. Wohin uns diese neue Freiheit führen wird, müssen wir nämlich erst noch erkunden. Skepsis ist angesichts der bisherigen Menschheitsleistung beim Umgang mit dem Leben durchaus angebracht.“