Polen wählt per Briefwahl

Polen bleibt dabei: Die Präsidentschaftswahl am 10. Mai findet statt. Das entschied das Parlament in Warschau am Montag auf Grundlage des Ende März verabschiedeten Krisengesetzes. Obwohl nun alle Polen und nicht wie von der Regierung ursprünglich geplant nur die Wähler über 60 - die zum großen Teil PiS wählen - per Briefwahl abstimmen dürfen, will die Kritik in den Kommentarspalten nicht verstummen.

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Süddeutsche Zeitung (DE) /

Demokratie kommt unter die Räder

Die Änderung des Wahlgesetzes ist ein weiterer Schritt zum Aufbau eines autoritären Regimes, empört sich der Warschau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Florian Hassel:

„Eine Abstimmung in Zeiten einer Epidemie ist schon deshalb fragwürdig, weil der dazugehörige Wahlkampf ausfällt. Auch ist der Plan, auf dem voraussichtlichen Höhepunkt der Krise Zehntausende Postboten durchs Land zu schicken und Hunderttausende Polen in lokalen Wahlkommissionen zu verpflichten, so absurd, wie er nur Wille und Vorstellung eines autokratischen Herrschers entspringen kann. ... Leider kann Kaczyński niemand aufhalten: Das Verfassungsgericht ist seit Jahren nur noch ein Schaugericht, und die Regierung sowie Präsident Andrzej Duda sind nur Marionetten. Zudem eint sie der Wille zur Macht. So kommen in der Corona-Krise nach Ungarn auch in Polen die Reste von Rechtsstaat und Demokratie unter die Räder.“

Azonnali (HU) /

Fairer Wettbewerb nicht möglich

Azonnali bedauert, dass das Rennen wohl nicht so spannend ausfallen wird, wie es vor dem Corona-Ausbruch schien:

„Es kann bereits festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb nicht vorliegen. Die seit Anfang März dauernde Suspendierung der Kampagne begünstigt unverhältnismäßig den amtierenden Kandidaten, den Präsidenten Andrzej Duda. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass der Präsident während einer Krise in den Medien präsent ist. Doch nun haben seine Rivalen gar keine Möglichkeit mehr, Wahlkampf zu machen, und das ist in den Umfrageergebnissen bereits sichtbar. ... Welche Legitimation wird der bei so einer Wahl neugewählte Andrzej Duda haben? ... Falls es zu einer chaotischen Lage kommt, und die Rechtmäßigkeit der Wahl infrage gestellt wird, kann das kontraproduktiv wirken.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Kaczyński bald absoluter Herrscher

Die polnische Regierung benutzt die Pandemie, um Demokratie und Rechtsstaat weiter zu demontieren, kritisiert die Süddeutsche Zeitung:

„Ist es schon undemokratisch, an einer Wahl im faktischen Ausnahmezustand festzuhalten, so ist es nun auch verfassungswidrig, das Wahlrecht zu ändern, damit Kaczyński seinem Kandidaten und seiner Partei die Lizenz für weitere rechtswidrige Gesetze sichern kann. Nur noch wenig fehlt Kaczyński zur absoluten Herrschaft - etwa die volle Kontrolle über das Oberste Gericht. Spätestens wenn die Amtszeit der bisherigen Gerichtspräsidentin endet und ein loyaler Nachfolger installiert wird, ist auch hier der Zugriff gesichert. Ex-Verfassungsgerichtspräsident Jerzy Stępień sieht Polen auf einem Weg in die Diktatur. Das mag übertrieben sein. Doch das Land zeigt Merkmale eines autoritären Regimes.“

Klubjagiellonski.pl (PL) /

Leichtes Spiel für die Regierung

Klubjagiellonski.pl verurteilt die Ohnmacht der Opposition:

„Leider hat die Opposition das Problem heruntergespielt und die Gelegenheit nicht genutzt, um das Virus der Illegalität aus dem polnischen Wahlrecht zu verbannen. Es bleibt die magere Hoffnung, dass es im Regierungslager zur Selbstreflexion kommt. ... Da sogar die Opposition die mit der Änderung des Wahlgesetzes verbundenen Gefahren kaum beachtet hat, ist jedoch kaum davon auszugehen, dass das herrschende Lager beschließen wird, die Änderung jetzt zurückzunehmen. Bis wir mit eigenen Augen sehen, dass die Regierung die unglücklichen Regeln zurücknimmt, sollten wir vor ihren potenziell tragischen Folgen warnen. “

Gazeta Wyborcza (PL) /

Die Opposition hätte einen Trumpf im Ärmel

Es gibt noch einen Weg, um PiS-Chef Kaczyński und Präsident Duda zu stoppen, erklärt Gazeta Wyborcza:

„Die demokratische Opposition, die sich trotz Spaltungen und Streitigkeiten in dieser Sache einig ist, sollte die systematischen Verfehlungen der Regierung, die Mängel bei der Krankenhausausstattung und den Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung aufdecken. ... Eine solche Kampagne im Internet und in den Medien, die solidarisch geführt wird und zeigt, dass sich die Opposition im Gegensatz zur PiS trotz unterschiedliche Ansichten zusammenschließen kann, um die Sicherheit und das Leben der Polen zu schützen, kann den Vorteil von Präsident Duda zunichtemachen.“