Hongkong: Wie auf Chinas Härte reagieren?

Bei Protesten gegen das sogenannte Sicherheitsgesetz in Hongkong hat die Polizei nach eigenen Angaben am Mittwoch mehr als 180 Menschen festgenommen. China hatte das umstrittene Gesetz am Vortag verabschiedet. Es eröffnet den Behörden breite Möglichkeiten, gegen die Opposition in Hongkong vorzugehen. In Europa analysieren Medien die Folgen von Chinas repressiver Politik und fordern Konsequenzen.

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Berlingske (DK) /

Fatales Schweigen

Die EU muss China endlich in die Schranken weisen, fordert Berlingske:

„Die Europäer begegnen Chinas brutaler Machtausübung mit Schweigen. … Das hat seinen Preis: Es existieren nur vage Grenzen für Chinas militärische Machtdemonstrationen und das bedroht nicht zuletzt den Frieden in unserem Teil der Welt. ... Die Europäer schätzen Handel höher als Prinzipien wie Freiheit, Demokratie und Meinungsfreiheit. Kein Wunder, dass es die Demokratie derzeit schwer hat, wenn nicht einmal die Institutionen, die die Einhaltung dieser Prinzipien garantieren sollen, letztlich für sie einstehen. Es ist an der Zeit, dass Dänemark und die übrigen EU-Staaten die Stimme erheben und Sanktionen gegen China verhängen.“

Savon Sanomat (FI) /

Chinas eigene Krim

Dass China und Russland sich in wichtigen Punkten sehr ähnlich sind, beobachtet Savon Sanomat:

„Chinas Staatschef Xi Jinping hat seine Position auf Lebenszeit zementiert. Dasselbe Ziel verfolgt der russische Präsident Wladimir Putin mit der Verfassungsreform. ... China und Russland ist auch gemein, wie sie zu den Selbstbestimmungsrechten der Regionen stehen. Das eklatanteste Beispiel ist die russische Besetzung und Einverleibung der Krim vor sechs Jahren. … Mit Hongkong hat China seine eigene Krim. … China und Russland setzen auf das Recht des Stärkeren, um ihren Einfluss zu auszuweiten. … Es ist nun noch wichtiger, dass der Westen ein starkes Gegengewicht bildet. Und weil die USA ihr Gleichgewicht verloren haben, muss die Einheit Europas auch während der Corona-Pandemie gestärkt werden.“

Ria Nowosti (RU) /

Peking kann sich Schwäche nicht leisten

Ria Nowosti findet es richtig, dass China äußerem Druck widersteht:

„Die chinesische Führung hatte die Wahl: Entweder der Erpressung nachgeben und im Süden des Landes eine echte separatistische Enklave bekommen, die sich leicht von jedem, der Lust dazu hat, aufwiegeln lässt. Oder Sanktionen ins Auge sehen, aber dafür die für das chinesische Nationalverständnis so wichtige Einheit des Landes wahren. ... Die Krux liegt darin, dass kurzfristige ökonomische Vorteile (die natürlich zu verzeichnen wären, schon allein durch das Fehlen von Sanktionen) nie und nimmer den wirtschaftlichen Schaden ausgleichen könnten, den China erleiden würde, wenn der Prozess der Desintegration nicht gerade jetzt und gerade in Hongkong aufgehalten worden wäre.“

Financial Times (GB) /

Schwerer Schlag für den Standort Hongkong

Hongkong als Wirtschaftsstandort verliert nun deutlich an Attraktivität, analysiert Financial Times:

„Die Untergrabung der Freiheiten Hongkongs wirft für andere Staaten und Unternehmen große Fragen hinsichtlich ihrer künftigen Beziehungen zu Hongkong und China auf. ... Ausländische Firmen, die in Hongkong tätig sind, werden ihre Präsenz dort unweigerlich überdenken. Schon allein aus geschäftlichen Gründen müssen alle ausländischen Unternehmen übervorsichtig sein, wenn in dieser Stadt Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht mehr garantiert werden können. Das Sicherheitsgesetz führt ausländischen Unternehmen deutlich vor Augen, dass im Hongkong der Zukunft sowohl ihr Geschäft als auch ihre Mitarbeiter gefährdet sein könnten.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Das Gegenteil von Sicherheit

Peking will Widerstand in Hongkong auf perfide Art und Weise verhindern, meint die Neue Zürcher Zeitung:

„Dass die Hongkonger am Dienstag zu Bett gingen, ohne zu wissen, was ab Mittwoch Gesetz ist, ist kein Betriebsunfall. Es ist Absicht. Peking geht es nicht um Rechtssicherheit, sondern um Kontrolle. Maximale Kontrolle übt ein autoritäres System aus, indem es unberechenbar ist. Wenn die Untertanen nicht genau wissen, was sie dürfen und was nicht, bleibt eine grosse Mehrheit von ihnen lieber auf der sicheren Seite und reizt Grenzen gar nicht erst aus - so das Kalkül der kommunistischen Machthaber. ... Die grosse Frage wird sein, wie das neue Gesetz umgesetzt werden wird. Gut möglich, dass es in einer ersten Phase gar nicht direkt angewendet wird. Vielmehr ist es ein Damoklesschwert, das nun über den Köpfen der Hongkonger schwebt und jederzeit fallen kann.“

The Times (GB) /

Peking jetzt die Stirn bieten

Chinas aggressives Vorgehen darf von der Staatengemeinschaft nicht hingenommen werden, mahnt The Times:

„Demokraten in Hongkong wissen, dass sie allein wenig ausrichten können. Ihre einzige Hoffnung besteht darin, im Ausland Stimmung für die eigene Sache zu machen, um Druck auf China auszuüben. ... Der Vertreter der Demokratie-Bewegung, Joshua Wong, vergleicht die Situation mit dem Einsatz eines Kanarienvogels in einer Kohlemine. Der Tod des Vogels durch giftige Grubengase ist eine Warnung für alle. Wenn es gelingt, Hongkong einzuschüchtern, kann es dann lange dauern, bis Peking Taiwan unter seine direkte Kontrolle bringt und seine wachsende Militärmacht einsetzt, um Indien und sogar Japan herauszufordern? Das spricht sehr stark dafür, Peking eher früher als später die Stirn zu bieten.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

China? Ist bald Geschichte

Für die Frankfurter Rundschau manifestiert das Gesetz hingegen gerade Chinas Schwäche:

„Kein Imperium hatte je Bestand. China zerbröselt jeden Tag etwas mehr an seinen Widersprüchen, sei es Corona, Uiguren, Dissidentinnen oder Hongkong. Und so zeigt auch das neue 'Sicherheitsgesetz' für Hongkong, das ohne Frage unerträgliche Unterdrückung bringt, nur eines: ein tödlich verwundetes, irrsinniges Monstrum, das sinnlos um sich schlägt. China? Ist bald Geschichte.“

Lidové noviny (CZ) /

Hongkongs Stern geht endgültig unter

Lidové noviny nimmt bereits Abschied vom teilautonomen Hongkong:

„Die Vorstellung, dass sich von Hongkong aus die Demokratie auf das chinesische Festland ausbreiten wird, war naiv. Ebenso wie die Vorstellung, dass die wirtschaftliche Bedeutung Hongkongs China motivieren wird, die Freiheit in der Stadt aufrecht zu erhalten. Das kommunistische China interveniert schon seit Jahren und ebenso lange schon sinkt die Wirtschaftskraft Hongkongs. Das hätte man vorhersehen können. Doch 1997, als die Briten Hongkong an China übergaben, war das keineswegs so klar. Es ist abzusehen, was passiert, wenn Peking eines Tages Taiwan ein ähnliches Modell anbietet.“

La Repubblica (IT) /

Wenn Trump nicht wäre

Die EU steht vor einer folgenschweren Entscheidung, erklärt der französische Journalist und EU-Parlamentarier Bernard Guetta in La Repubblica:

„Eine Option wäre, sich an die Seite der USA zu stellen, um China zu veranlassen, zur Vernunft zu kommen. … Eine gangbare Option, wenn sich die Demokraten im November durchsetzen. … Aber wenn Donald Trump sich durchsetzen sollte, wäre es - angesichts seines so instabilen Charakters - schwierig, ein langfristiges Abkommen auszuhandeln. In diesem Fall sollte die Europäische Union, wenn überhaupt, versuchen, seine Beziehungen zu Washington und Peking im Gleichgewicht zu halten, indem sie im Tausch für eine relative Neutralität die Garantie ihrer grundlegenden wirtschaftlichen Interessen aushandelt.“

Der Standard (AT) /

Peking verprellt moderate Mehrheit

Aus Sicht des Standard schadet sich China mit dem neuen Gesetz selbst:

„Ein großer Teil der Hongkonger ... hatte sich ganz gut mit dem Sonderstatus arrangiert. An den Touristen vom Festland verdiente man gut, der Wohlstand stieg, die 'South China Morning Post' erschien weiter mit kritischen Artikeln, das Internet war frei. Unabhängigkeit von Peking? Das war eine Forderung von wenigen Radikalen. ... Mit dem neuen Sicherheitsgesetz ... beendet nun Peking den Status quo. ... Hongkong, wie die Welt es kennt, wird aufhören zu existieren. Die Protestbewegung bittet nun das Ausland um Hilfe, die Radikalen fühlen sich in ihrer Meinung bestätigt, dass Peking nicht zu trauen ist. Und die moderaten Hongkonger, die bisher wollten, dass alles bleibt, wie es ist, müssen sich nun denen anschließen, die Veränderung fordern.“