Rassismus: Von offen bis gut versteckt

Die Tötung George Floyds hat weltweit Erschütterung ausgelöst, Hunderttausende auf die Straßen getrieben und eine Debatte über Rassismus entfacht. Dieser hat viele Gesichter, erklären Kommentatoren und ärgern sich in diesem Zusammenhang auch über heuchlerische Solidaritätsbekundungen.

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24 Chasa (BG) /

Mit fadenscheinigem Lächeln getarnt

Das Perfide am Rassismus in den USA ist, dass er häufig übertüncht wird, schreibt die in den USA lebende Kolumnistin Irina Asjowa in 24 Chasa:

„Wenn jemand in Bulgarien Dich nicht mag, wird er schnell einen Weg finden, es Dir zu zeigen. Bei den Amerikanern wird Abneigung im Kochtopf der guten Sitten und der Toleranz weichgegart - zwei für den Menschen an sich untypische Eigenschaften. Entsprechend kocht der Topf auch regelmäßig über. Jetzt gerade hat ein weißer Polizist einen unschuldigen Schwarzen mit dem Knie am Hals getötet und die ganze Welt spricht über Amerika und den Rassismus. Den Rest der Zeit brodelt aber ein perfider, hinterhältiger Rassismus hinter fadenscheinigem Lächeln. Dieser Rassismus ist viel gefährlicher als jeder andere, weil über ihn nicht gesprochen wird. Lediglich sein Gestank liegt in der Luft.“

Azonnali (HU) /

Auch Missstände zu Hause anprangern

Rassismus in den USA sollte keine Ausrede dafür sein, sich nicht mit den Problemen vor der Haustür zu beschäftigen, rät Autor Ádám Fekő in Azonnali:

„Ich will die Geschichte von George Floyd keinesfalls bagatellisieren, aber die vielen spektakulären Solidaritäts-Statements beweisen, dass die ungarische Gesellschaft den Kontakt zum eigenen Land verloren hat. ... Im Netz trauern wir um George Floyd auf eine theatralische Art und Weise, während die Tatsache, dass der ungarische Staat mit öffentlichen Geldern innerhalb von ein paar Jahren ein ganzes Land zu Muslimhassern gemacht hat, niemanden erreicht. … Ebenso wenig, dass derselbe Staat die Entschädigung, die Angehörigen der Roma-Minderheiten durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil zugesprochen wurde, nicht bezahlen will.“

Expresso (PT) /

Nichts ist rassistischer als der Hashtag stayhome

Angesichts der Corona-Maßnahmen empfindet Kolumnist Henrique Raposo viele der nun gehörten Solidaritätsbekundungen als heuchlerisch, wie er in Expresso schreibt:

„Der Bourgeois, weiß und privilegiert, schloss sich in seiner geräumigen Wohnung ein, während Millionen Arbeitsplätze armer Menschen (meist dunkler Hautfarbe) zerstört wurden. ... Der Hashtag stayhome war nur möglich, weil die Bourgeoisie von einer Armee armer Menschen (meist dunkler Hautfarbe) ernährt wurde. Und jetzt ist es dieser Bourgeois, der gegen den Rassismus der amerikanischen Polizei kämpft? Als ob die amerikanische Polizei die einzige Institution ist, in der es Rassisten gibt. Als ob nicht die gesamte Mittel- und Oberschicht des Westens an der größten in Klassen unterteilenden und rassistischen Erfahrung dieses Jahrhunderts teilgenommen hätten: dem stayhome.“

Der Standard (AT) /

Für Medien sind Migranten niemals normal

Dass auch die Berichterstattung in den Medien Rassismus befördert und zementiert, erklärt Der Standard:

„Würden wir uns lediglich auf die Informationen und Bilder verlassen, die uns klassische Medien liefern, würden wir nur bei zwei Gelegenheiten erfahren, dass in unserer Gesellschaft auch Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Sprache oder Religion leben. Nämlich dann, wenn die Mehrheitsgesellschaft ihre Existenz als Problem wahrnimmt, Stichwort 'Integrationsprobleme'. Oder in besonders tragischen, spektakulären Fällen, wenn sie Opfer von Terroranschlägen werden. ... Es gibt derzeit keine mediale Normalität, in der Migranten, ihre Nachkommen, Einwanderer, schwarze Menschen, Muslime ein Teil der Gesellschaft sind. Sie sind immer nur Problem und Ausnahme. Das ist ein Teil des großen gesellschaftlichen Problemkomplexes, den wir unter Rassismus und Ausgrenzung zusammenfassen.“

Kristeligt Dagblad (DK) /

Hautfarbe darf kein Argument sein

Wie schnell es passieren kann, dass man mit Kategorien der Hautfarbe denkt und argumentiert, beschreibt Kristeligt Dagblad und verweist auf die mitunter gehörte Meinung, weiße Menschen sollten sich auf den Demos gegen Rassismus besser zurückhalten:

„Weiße Hautfarbe - und natürlich schwarze - als Argument für irgendetwas zu gebrauchen, vertieft nur die Gräben und die Spaltungen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was der Bürgerrechtler Martin Luther King in seiner berühmten Rede meinte, als er der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass seine vier Kinder 'eines Tages in einem Land leben werden, wo sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden'.“