Wahl-Countdown in den USA: Trump im Abseits?

Hundert Tage vor den Präsidentschaftswahlen in den USA liegt der demokratische Herausforderer und Ex-Vizepräsident Joe Biden in Umfragen deutlich vor dem republikanischen Amtsinhaber Donald Trump – mit rund 10 Prozentpunkten Vorsprung. Kommentatoren beleuchten, was bis und nach dem 3. November noch passieren könnte.

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Efimerida ton Syntakton (GR) /

Der Präsident mobilisiert schlafende Gegner

Efimerida ton Syntakton glaubt, dass Donald Trump mit seinem aktuellen Vorgehen gegen antirassistische Protestbewegungen den USA schadet, aber auch seinen eigenen Wahlchancen:

„Trumps Entscheidung, die Bundespolizei in Städte zu schicken, in denen Bürgermeister sich weigern, den Teufelskreis der asymmetrischen Unterdrückung anzuheizen, ist nicht nur eine gefährliche bürgerkriegsähnliche Eskalation, sondern könnte auch die Entwicklung vor den Wahlen entscheidend beeinflussen. Trump mobilisiert mit seinen extrem polarisierenden Entscheidungen den sozial radikalisierten Flügel der Wählerschaft, der 2016 das Dilemma 'Trump oder Clinton' ablehnte und sich der Stimme enthielt. ... Trump erscheint klar als Bedrohung für die demokratische Stabilität des politischen Systems - was sich in Bidens Führung in den Umfragen widerspiegelt.“

Jutarnji list (HR) /

Europa sollte sich nicht zu früh freuen

Wenn Trump die Wahlen verliert, werden nicht alle transatlantischen Differenzen einfach verschwinden, erinnert Jutarnji list:

„Wenn Trump geht, und hoffen wir, dass er geht, wird es einfacher sein, die Partnerschaft zu stärken. Aber die europäische Seite wird die Verantwortung für ihren Teil der Fehler übernehmen müssen. ... Der EU wird es auch ohne Trump nicht leicht fallen, Partner der USA in der Weltpolitik zu sein. Das liegt an den unterschiedlichen Interessen der EU-Mitglieder, während Beschlüsse in der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin nur einstimmig erfolgen können, was heißt, dass es kaum klare Standpunkte geben wird. Während man auf Trumps Niederlage hofft und wartet, muss sich auch die EU ihrerseits schnell um ihre Probleme kümmern.“

Delo (SI) /

Verhärtete Fronten schaden allen

Hundert Tage vor den Neuwahlen hat das Land die alten noch immer nicht richtig verdaut, kommentiert Delo:

„Der Missmut von 2016 zieht sich hin, die tief gespaltene Gesellschaft der Supermacht nutzt jedes politische, wirtschaftliche und soziale Thema als Treibstoff für parteipolitische und ideologische Kämpfe. … Doch sollte man sich in Demokratien darüber im Klaren sein, dass Fortschritt nicht geradlinig verläuft und dass Kurskorrekturen durch Machtwechsel allen nutzen können. Beide Seiten hätten allen Grund, gemeinsam gegen das sie quälende mörderische Coronavirus aufzutreten. Doch es ist wahrscheinlicher, dass sich das Hin und Her von Anschuldigungen fortsetzen wird, unabhängig davon, wer das Rennen um das Weiße Haus macht. Auch wenn blinder Hass im eigenen Land irgendwann nur noch ausländischen Feinden nutzt.“

La Stampa (IT) /

Konfrontation als letztes Mittel

Noch hat der Amtsinhaber Trümpfe in der Hand, wenn auch gefährliche, warnt Kolumnist Gianni Riotta in La Stampa:

„Hat Joe Biden das Rennen 99 Tage vor der Wahl schon gemacht? Ganz und gar nicht. Trotz der Rekordzahlen an Pandemie-Todesfällen und der Wirtschaftskrise bleibt die republikanische Basis Trump treu, dank seiner Verteidigung ihrer kulturellen Identität, die sie durch die neue Wirtschaft und die ethnische und sexuelle Integration bedroht sieht. ... Trump wittert die Chance und setzt das politische Kapital, das ihm noch geblieben ist, auf soziale und internationale Konfrontation. Zusammen mit Außenminister Pompeo, der die internationalistische Tradition Nixons verleugnet, verschärft er den Ton gegenüber China, während er Sicherheitskräfte des Bundes nach Portland schickt, um die jüngsten antirassistischen Proteste zu unterdrücken.“

Aftonbladet (SE) /

Trump will Fokus nach außen lenken

Trump wird sich auf die Konfrontation mit China konzentrieren, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, befürchtet auch Aftonbladet:

„Da Joe Biden unter den Wählern immer stärker an Sympathien gewinnt, werden Machtdemonstrationen wie die gegenüber China für Trump wichtiger. Mit steigenden Todeszahlen trifft Trumps Handeln in der Corona-Krise zudem auf wachsenden Widerstand. ... Der eskalierende Konflikt mit China kann vor diesem Hintergrund nur als Teil von Trumps Wiederwahlkampagne gewertet werden. ... Der Konflikt zwischen den USA und China könnte ernsthafte Konsequenzen haben. Schon jetzt befinden wir uns aufgrund von Corona mitten in einer globalen Krise.“