Die Kollateralschäden im Kampf gegen Corona

Das Eindämmen der Pandemie hat seit Monaten weltweit oberste Priorität. Dass dabei Kultur, Bildung, Soziales und die Versorgung von Patienten mit anderen Leiden in den Hintergrund treten, besorgt Kommentatoren aus den unterschiedlichsten Winkeln des Kontinents.

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Der Standard (AT) /

Wofür es keine tagesaktuellen Zahlen gibt

Beim Fokus auf Covid-19 dürfen andere Leiden nicht in Vergessenheit geraten, mahnt Der Standard:

„Es gibt Dinge, die weit schwerwiegender für die Gesundheit sein können als dieses Virus. Das sind Einsamkeit am Lebensende, der Verlust an gesunden Lebensjahren durch eine unzureichend behandelte chronische oder akute Krankheit oder ein Tumor, der Monate zu spät diagnostiziert wird. Noch immer werden in der Diskussion über Corona-Maßnahmen die Kollateralschäden nicht ausreichend berücksichtigt. Für Arbeitslosigkeit, Krebserkrankungen und Herzinfarkte gibt es keine tagesaktuellen Dashboards. ... Im Herbst und Winter muss jedenfalls gelten: Alte und sterbende Menschen dürfen nicht alleingelassen und vom Rest der Welt abgeschottet werden. Und wer schwer krank ist, muss zum Arzt gehen. Das ist es, was die Menschen verinnerlichen müssen.“

Jydske Vestkysten (DK) /

Maisbauern verlieren Zeit an der Grenze

Zwischen Dänemark und Deutschland sind immer noch acht von 13 Grenzübergängen geschlossen, was insbesondere die Arbeit von Landwirten einschränkt, die Mais auf beiden Seiten der Grenze ernten oder ausliefern, mahnt Jydske Vestkysten:

„Es gäbe zweifelsohne heftige Proteste, wenn die Behörden Kontrollen zwischen den [dänischen] Landesteilen einführen würden. ... Die Begründung, Corona-Ansteckungen zu verhindern, würde nicht schwer genug im Verhältnis zu den Einschränkungen für Bevölkerung und Unternehmen wiegen. ... Leider verhält es sich so nicht an der deutsch-dänischen Grenze. Hier sind noch nicht einmal eigene Fahrspuren für Pendler eingerichtet worden. ... Jetzt müssen unbedingt mehr Grenzübergänge geöffnet und die Wartezeit verkürzt werden. Nicht nur für die maiserntenden Bauern, auf die höhere Kosten wegen der Transportzeit zukommen.“

Yetkin Report (TR) /

Andere Krankheiten werden nicht behandelt

Ein allein auf die Pandemie fixiertes Gesundheitssystem ist gefährlich, warnt Jurist Hakan Yazıcı im Blog Yetkin Report:

„Patienten, die an anderen Krankheiten als Covid-19 leiden, zahlen einen höheren Preis als Covid-19-Patienten. ... Das Gesundheitsministerium hat bereits vor Monaten jeglichen Fokus auf nur ein Risiko gelenkt: Covid-19. Leider haben das auch alle Ärzte gemacht, die ich kenne. Daraus resultiert, dass sich niemand einem Krankenhaus oder einem Arzt nähern will - aus der (berechtigten) Angst, 'sich Covid-19 einzufangen'. ... Wir begreifen nicht, was uns die aufgeschobenen Untersuchungen, Diagnosen und Behandlungen kosten werden.“

Le Soir (BE) /

Kultur und Bildung nicht hintanstellen

In Belgien beginnt das neue Schuljahr mit Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler ab zwölf Jahren und einem Verbot von Schulausflügen für Kulturbesuche. Doch bei Kultur und Bildung sollte es so wenig Einschränkungen wie möglich geben, warnt Oberstufenlehrerin Sofia Injoque Palla in Le Soir:

„Wenn wir, wie die Politik im April verkündet hat, eine Post-Covid-Gesellschaft wollen, müssen Bildung, Kultur, Gesundheit, Umwelt, Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie ihre Grundpfeiler sein. Kultur und Bildung ihren rechtmäßig zustehenden Platz einzuräumen, bedeutet, die Grundlagen für ein neues Lebensmodell zu schaffen, das auf die beiden Komponenten ausgerichtet ist, von denen es abhängt: Mensch und Umwelt. Kultur und Bildung sind untrennbar. Sie sind die beiden Seiten einer Medaille, die keinen Preis, aber einen unschätzbaren Wert hat.“

Õhtuleht (EE) /

Gesundheit und Daten schützen

In Estland wird derzeit debattiert, ob in Gastronomie, Kultur und Amüsement Kundendaten zur Nachverfolgung von Infektionsketten gesammelt werden sollen. Zur Vorsicht rät Õhtuleht:

„Damit geht die Gefahr einher, dass mehr Daten gesammelt werden als nötig und diese in falsche Hände gelangen. Wenn sogar neugierige Polizisten und Mediziner heimlich in den Datenbanken nach Promis schnüffeln, wie kann man dann Personendaten schützen, wenn zudem nicht nur Restaurants und Theater, sondern auch Nachtclubs, Striptease- und Gaybars Listen anlegen? Diese Listen können zum Stillen der Neugier, aber auch für Gerüchte und Erpressung benutzt werden.“

Jornal de Notícias (PT) /

Auf Portugal wartet Massenarbeitslosigkeit

In den kommenden Monaten werden die Portugiesen die wirtschaftliche Not noch stärker zu spüren bekommen, prophezeit Jornal de Noticias:

„Hunderte Fabriken werden nach August nicht mehr öffnen. Unzählige Unternehmen versuchen immer noch, mit staatlicher Unterstützung am Leben erhalten zu werden. Es reicht nicht. Im März kommenden Jahres wird die Frist für eingefrorene Kredite enden und der finanzielle Spielraum von Tausenden Familien auf ein Minimum schrumpfen. ... Noch stärker sind der Tourismus und jene Regionen betroffen, die vom Saisongeschäft abhängen, wie die Algarve. Nur wer dort lebt, versteht das Ausmaß der Tragödie, die nun an die Tür klopft.“