Ungarn macht dicht: Ist der Grund fadenscheinig?

Ungarn verbietet seit Dienstag den meisten Ausländern die Einreise und begründet den Schritt mit steigenden Ansteckungszahlen. Nach heftigen Protesten wurden Ausnahmen für Reisende aus den drei anderen Visegrád-Staaten Tschechien, Polen und Slowakei eingeführt. Nicht nur die EU, sondern auch Kommentatoren kritisieren die Grenzschließung.

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Sme (SK) /

Politische Abschottung von der EU

Mit Gesundheitspolitik hat das nichts zu tun, kommentiert Sme verärgert:

„Der Eiserne Vorhang, den Premier Viktor Orbán am 1. September an den Grenzen von ganz Ungarn ins Leben gerufen hat, ist die radikalste Maßnahme gegen den Frieden, die jemals in Europa unter dem Vorwand der Bedrohung einer zweiten Corona-Welle ergriffen wurde. Es ist sicher wahr, dass Präzedenzfälle aus der ersten Welle stammen. Die teilweise oder vollständige Schließung der Grenzen wurde seinerzeit jedoch durch die Lage in Italien oder Spanien gerechtfertigt, außerdem gab es zu dem Zeitpunkt noch kaum Kenntnisse über das Virus. Heute gibt es keinen epidemiologischen Grund, die Freizügigkeit einzuschränken. Die Ausnahme für die anderen Visegrád-Staaten weist alle Merkmale eines politisch-symbolischen Vorhabens von Orbán auf: die V4 als Gegenalternative zu 'Brüssel' zu definieren.“

444 (HU) /

Hygieneregeln und Tests sind weitaus effektiver

Andere Schritte wären wirksamer stellt Gesundheitsexperte Zsombor Kunetz auf 444 klar:

„Die Grenzschließung kann kaum als epidemiologische Maßnahme verstanden werden, da das wirklich ernste Problem nicht das Einschleppen, sondern die Verbreitung des Virus im Land darstellt. ... Man sollte zuerst Maßnahmen ergreifen, die sich wirklich eignen, um die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen. Dazu gehören eine strengere Kontrolle des Sicherheitsabstands und des Maskengebots in geschlossenen Räumen sowie der Handhygiene-Regeln. All diese Maßnahmen sollten selbstverständlich von viel umfangreicheren Tests begleitet werden. Sollte die Regierung diese tatsächlich effizienten Maßnahmen ergreifen, könnte sich die Grenzschließung leicht als unnötig herausstellen.“