Kann Lukaschenka auf Putin zählen?

Während die Massenproteste in Belarus unverändert anhalten, ist Langzeitpräsident Lukaschenka am Montag zu Wladimir Putin nach Sotschi gereist. Dort wurde er freundschaftlich empfangen, Putin sagte ihm einen 1,5-Milliarden-Dollar-Kredit zu und äußerte sich unterstützend. Ein klares Bekenntnis des Kremlchefs zu seinem bedrängten Kollegen sieht die Presse darin aber nicht.

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Echo Moskwy (RU) /

Der Kreml im Dilemma

Echo Moskwy konstatiert, dass Putin in Belarus einfach keine Alternative zu Lukaschenka hat - ob der ihm gefällt oder nicht:

„Die belarusischen Oppositionsführer können noch so oft - und durchaus aufrichtig! - von der Freundschaft zu Russland sprechen, von Achtung und Brüderlichkeit, aber Tichanowskaja, Kolesnikowa und alle anderen wollen ein Land aufbauen, das Russland ideologisch nicht mehr ähnlich sein wird. Idealerweise will Putin Belarus schlucken. Er hatte darauf gehofft, den fiesen Alten irgendwie hinzubiegen oder abzulösen und nicht damit gerechnet, dass es anders kommt. Jetzt muss er wählen: Entweder geht Belarus einen anderen Weg oder er muss diesem Kartoffelkopf-Vampir helfen.“

Keskisuomalainen (FI) /

Zur Not regelt Russland die Sache selbst

Lukaschenka kann nicht darauf vertrauen, dass Putin ihn dabei unterstützt, an der Macht zu bleiben, glaubt Keskisuomalainen:

„Er klammert sich an die Macht und vermittelt Putin das Bild, dass er die vom Westen arrangierte Farbrevolution abwehrt, die auch auf Russland übergreifen kann. Wichtiger als Lukaschenka ist für Putin jedoch, dass es auch künftig eine russlandfreundliche Regierung in Belarus gibt. Der Führung des Nachbarlandes wurden zur Unterstützung bereits russische Polizeikräfte angeboten. Es sieht so aus, dass Russland der Opposition nicht erlaubt, Lukaschenka zu stürzen, Russland dies aber gegebenenfalls selbst tut.“

Népszava (HU) /

Lukaschenka hat sich wohl mehr erhofft

Putin wird Lukaschenka nicht um jeden Preis unterstützen, ist sich auch Népszava nach dem Treffen sicher:

„Zwischen dem belarusischen Präsidenten und Putin herrscht keinesfalls ein auf gegenseitigem Vertrauen fußendes Verhältnis. Die Beziehung zwischen ihnen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert. Seit dem Ausbruch der Demonstrationen hat der belarusische Präsident sich zwar öfter als bedingungsloser Anhänger der Führung Russlands dargestellt, dies zeigt aber nur, dass auch ihm bewusst ist, dass er die Unterstützung seiner Mitbürger verloren hat. ... So ist die Hilfe aus Moskau seine einzige Chance. Putin braucht ihn aber nur, bis der Kreml jemand anderen gefunden hat, der besser ist, als er. ... Der russische Präsident muss außerdem auch an die Reaktion der belarusischen Bevölkerung denken. Es liegt kaum in seinem Interesse, ihre Wut auf sich zu ziehen.“

Echo Moskwy (RU) /

Dieser Mann ist nicht mehr der richtige Partner

Schon aus eigenem Interesse muss Putin dem Minsker Machthaber jede weitere Unterstützung versagen, fordert ein von Echo Moskwy übernommener Post aus dem anonymen linken Telegram-Kanal SerpomPo:

„Wenn Putin nicht noch ein verfeindetes Land vor der Haustür haben will und sich die Chance bewahren will, dass es eine neue loyale Führung in Belarus gibt, dann gibt es nur ein Szenario: Er muss Lukaschenka klipp und klar sagen, dass er keine Unterstützung bekommt. Und dass alle politischen Gefangenen ohne Bedingungen freizulassen sind, also auch die politischen und gesellschaftlichen Anführer Babariko, Tichanowski, Kolesnikowa und Statkewitsch. ... Danach muss Lukaschenka (wenn er kann) Belarus verlassen und den Weg für eine Neuwahl in einem halben Jahr freimachen. ... Russlands Führung muss endlich verstehen: Lukaschenkas Zeit ist abgelaufen, Belarus hat sich für immer verändert.“

Rzeczpospolita (PL) /

Der Kreml hat alles längst vorbereitet

Putin bereitet sich auf die Zeit nach Lukaschenka vor, meint der Chefredakteur von Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota:

„Zweifellos liegen die Schlüssel zum Minsker Präsidentenpalast in einer Schublade des Kremls. Ich bezweifle, dass Putin glaubt, Russlands Einfluss in Belarus werde mit Lukaschenka enden. Zweifellos hat Wladimir Wladimirowitsch andere Szenarien vorbereitet. Der Beweis dafür ist die zunehmende Präsenz anonymer 'grüner Männchen' in nicht gekennzeichneten Autos in Belarus. Wie schnell werden diese Männer ihre Sturmhauben ausziehen und die Kontrolle im aufständischen Land übernehmen? Und wird dann jemand Swetlana Tichanowskaja und Swetlana Alexijewitsch, oder eine ganz andere Person zu Gesprächen einladen? Wir werden die Antwort wahrscheinlich im Herbst kennen.“

NV (UA) /

Russland wird nicht einmarschieren

Der belarusische Machthaber wird den großen Nachbarn sicher nicht um militärische Hilfe ersuchen, erläutert der Politologe Dmitri Oreschkin in nv.ua:

„Lukaschenka versteht: Solange sich die Macht in Belarus auf Gewalt stützen kann, gehört sie dem, der mehr Bajonette hat. Wenn im Land plötzlich Bajonette auftauchen, die einem anderen loyal sind, wird Lukaschenka Putins Marionette werden. Und dann wird er entmachtet. Das ist gut für den Kreml, aber nicht für Lukaschenka. Noch sind friedliche Demonstranten für ihn eine kleinere Bedrohung als bewaffnete Soldaten aus Russland. ... Am wahrscheinlichsten ist folgendes Szenario: Die belarusischen Sicherheitskräfte werden weiterhin versuchen, die Demonstrationen zu unterdrücken. Und Lukaschenka wird Putins Wunsch, 'grüne Männchen' ins Land zu lassen, die dieser 2014 zur Annexion der Krim schickte, nicht nachkommen.“

Times of Malta (MT) /

Bitte keinen Stellvertreterkrieg

Times of Malta hofft, dass Belarus nicht zwischen den Interessen des Westens und Russlands zerrieben wird:

„Belarus sollte kein weiterer geopolitischer Spielplatz werden, auf dem Russland und der Westen um ihre jeweiligen Interessen kämpfen. Dies ist ein entscheidender Faktor. Im Zweiten Weltkrieg, der in den Ländern der früheren Sowjetunion meist als der Große Vaterländische Krieg bezeichnet wird, wurden Tausende Dörfer und Siedlungen zerstört. Eine von vielen Belarusen angeführte Tatsache ist, dass 25 Prozent der Bevölkerung während dieses Kriegs getötet und 85 Prozent der Hauptstadt Minsk dem Erdboden gleich gemacht wurden. Viele Belarusen hegen die Befürchtung, dass etwas Ähnliches wieder passieren könnte.“