Moria: Die Krux mit der europäischen Lösung

Nach dem Brand in Moria hat Athen bislang, abgesehen von 400 unbegleiteten Minderjährigen, keine Flüchtlinge von der Insel Lesbos geholt. Stattdessen wurde ein provisorisches Zeltlager errichtet. Deutschland will mehr als 1600 Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen, Frankreich mehrere Hundert.

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Kathimerini (GR) /

Brand ist das beste, was passieren konnte

Es hat wieder mal eine Katastrophe gebraucht, damit sich etwas bewegt, konstatiert Kathimerini:

„Eine Straftat führte zu einem freudigen Ergebnis! ... Gewalt, die aus Wut entspringt, ist nach Hannah Arendt nicht nur verständlich, sondern auch moralisch gerechtfertigt. ... Nur weil du als Tier lebst, heißt das nicht, dass du ein Tier geworden bist. ... Haben Sie die Mobilität gesehen, die nach dem Verbrennen von Moria entstanden ist? Alle wurden plötzlich aus ihrer Lethargie gerissen. Jetzt wird über kleinere, menschlichere Strukturen gesprochen. Hunderte unbegleiteter Kinder wurden in Unterkünfte nach Thessaloniki gebracht. Deutschland wird 1.500 Flüchtlinge aufnehmen. Der Premierminister erklärte, dass die Zerstörung von Moria eine 'Chance' sei. Die EU kündigte einen neuen, europaweiten Ansatz in der Migrationsfrage an. Ja, der Brand von Moria ist das Beste, was dem Lager passieren konnte.“

Dagens Nyheter (SE) /

Schweden argumentiert mit alten Zahlen

Schwedens rot-grüne Regierung lehnt die Aufnahme minderjähriger Asylbewerber aus Griechenland ab. Die Begründung dafür möchte Dagens Nyheter nicht gelten lassen:

„Der [sozialdemokratische] Minister für Justiz und Migration, Morgan Johansson, pflegt mit breiter parlamentarischer Unterstützung zu betonen, dass Schweden bereits mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen habe als andere Länder und dass daher zunächst andere EU-Mitgliedstaaten mehr tun müssten. Das ist zum Teil richtig. 2015 nahm Schweden etwa ein Drittel der Minderjährigen auf, die in die EU gekommen waren, also rund 34.000 von insgesamt 95.000. Doch das war eine Ausnahmesituation. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 890 von 18.000. Wie lange noch kann Schweden seine harte Politik damit rechtfertigen, was vor fünf Jahren passierte?“

Krytyka Polityczna (PL) /

Polens Chance zur Wiedergutmachung

Krytyka Polityczna kommentiert, dass Polen nun alte Versäumnisse wettmachen kann:

„Die Situation der Flüchtlinge könnte anders aussehen, wenn Länder wie Polen, Ungarn und die Tschechische Republik, die keine Flüchtlinge im Rahmen des EU-Verteilungsprogramms aufgenommen haben, ihre Verpflichtungen erfüllt und in den letzten Jahren ihre Solidarität mit den Flüchtlingen gezeigt hätten. Nur 6.000 Menschen sollten nach Polen kommen, entschied die Regierung von Ewa Kopacz. Trotz der Erklärungen ist Polen selbst dieser Verpflichtung in den folgenden Jahren nicht nachgekommen. ... Jetzt hat unser Land die Chance, seine Verpflichtung zu erfüllen, indem es Menschen aus dem verbrannten Lager Moria rettet. Weiterhin schließen sich Länder der Liste derer an, die eine Evakuierung aus Lesbos planen. Aber Polen gehört immer noch nicht dazu. “

Avgi (GR) /

Weg mit den Konzentrationslagern!

Im provisorischen neuen Camp auf Lesbos wurden bereits 243 Flüchtlinge positiv auf Corona getestet. Die linke Tageszeitung Avgi schüttelt ernüchtert den Kopf:

„Nach dem Brand in Moria und den Folgen der vergangenen Tage wird nun der Ausbruch der Pandemie unter den Flüchtlingen als zusätzliches Argument herangezogen, Tausende Menschen in geschlossenen Strukturen einzusperren. In Konzentrationslagern, aus denen niemand abreisen kann. ... Und das alles mit der Toleranz eines demokratischen und humanitären Europas. Die Errichtung von Konzentrationslagern auf den Inseln ist ein humanitäres Verbrechen. Lassen Sie uns dies jetzt klar sagen. Denn so wird es eines Tages in der Geschichte stehen, auch wenn wir dann behaupten, dass wir nichts davon gewusst oder gehört hätten.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Wer Grundwerte opfern will, soll dazu stehen

Man hätte lang genug Zeit gehabt, zu handeln statt zu reden, ätzt der Tages-Anzeiger:

„Der dunkelfarbene Blazer jeder migrationspolitischen Diskussion ist die Phrase von der 'Hilfe vor Ort'. Passt immer, lässt sich mit fast jedem ideologischen Outfit kombinieren, wirkt sportlich-modern und niemals anstössig. ... Wer den Satz gebraucht, signalisiert: Ich bin zwar kein naiver Gutmensch. Aber eben auch kein Unmensch. ... Die Behandlung von Flüchtlingen in Moria und auf anderen griechischen Inseln verstösst gegen die EU-Grundrechtscharta, die Genfer Flüchtlingskonventionen, die Europäische Menschenrechtskonvention, die UN-Kinderrechtskonvention. ... Die Befürworter des willentlich erzeugten Schreckens sind bereit, humanitäre Grundwerte zu opfern und gegen internationales Recht sowie rechtsstaatliche Prinzipien zu verstossen. Sie sollten wenigstens den Mut aufbringen, dazu zu stehen.“

Der Spiegel (DE) /

Es braucht Mut zum Alleingang

Dass es sich viele nationale Regierungen zu einfach machen, findet Der Spiegel:

„Wer auf eine europäische Lösung pocht, will in Wahrheit überhaupt keine Lösung, denn längst ist klar, dass sich die 27 EU-Staaten niemals auf eine gemeinsame Asylpolitik einigen werden. Wenn aber eine Mehrheit der EU-Staaten einfach hinnimmt, dass eines ihrer Mitglieder Flüchtlingen jeglichen Schutz verwehrt, so wie das 2015 in Ungarn der Fall war und so wie es nun in Griechenland der Fall ist, dann ist ein nationaler Alleingang kein Irrweg - sondern eine Notwendigkeit. Es war richtig von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu holen. Genauso richtig wäre es heute, Flüchtlinge aus Lesbos zu evakuieren.“

Der Standard (AT) /

Wirtschaftsmigranten hegen noch immer Illusionen

Letztlich fehlt der europäischen Asylpolitik die Konsequenz, erklärt Der Standard:

„Der Großteil der Insassen von Moria und anderen Lagern besteht nicht mehr aus syrischen Kriegsflüchtlingen, sondern aus Afghanen, Pakistanern, Bangladeschern, Schwarzafrikanern. Deren Chancen auf Asyl sind nicht groß. Wirksam 'abschrecken' kann man sie auf Dauer nur, wenn der zweite, stets vernachlässigte Teil des EU/Türkei-Abkommens umgesetzt würde. Die Griechen müssten binnen zwei Monaten Asylbescheide erstellen, und wer abgelehnt wird, kommt zurück in die Türkei. ... [Es braucht] einen zweiten Deal, der echten Asylwerbern eine Chance auf Aufnahme bietet und die anderen beinhart zurückschickt. Derzeit hält man bei Wirtschaftsmigranten die Illusion aufrecht, sie würden eines Tages doch durchkommen.“