Doku zu "Geheimpalast": Putin in Bedrängnis?

"Putins Palast" ist längst nicht vom Tisch. Vergangene Woche veröffentlichte Nawalnys Team einen Dokumentarfilm über eine bombastische Luxus-Residenz am Schwarzen Meer. Nach landesweiten Protesten hat sich Putin nun in einer Live-Schalte mit ausgewählten Studenten zu dem Palast geäußert. Doch Journalisten hat er damit nicht überzeugt. Sie kommentieren den Auftritt mit einem süffisanten Lächeln.

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NV (UA) /

Dementi war taktisch unklug

Den Palast kann niemand anderes besitzen als Putin, mokiert sich NV:

„Die Schwiegermutter, ein Neffe oder eine von 'diesen Frauen' [Putins wiederholte Formulierung, wenn er angebliche Töchter verneint] kommen offensichtlich nicht in Frage. Das Gleiche gilt für irgendein großes Unternehmen. ... Eine ganz normale Person kann es ebenfalls nicht sein, denn hier wäre die Frage, woher sie die hundert Milliarden Rubel hat und warum sie vom FSO [Schutzdienst für Präsident und Regierung] bewacht wird. ... Somit muss der Besitzer eine äußerst reiche Person sein, über deren Vermögen jeder Bescheid weiß, und die das vollkommene Vertrauen von Putin genießt. Doch das ist schwierig. Keiner der Superreichen will in eine potenziell supertoxische Geschichte reingezogen werden. ... Putin hätte dieses Besitztum nicht abstreiten sollen. Er hat doch eh niemanden überzeugen können und nun wird bereits seine Legitimität in Frage gestellt.“

Snob (RU) /

Putin enthüllt ungewollt seine Gestrigkeit

Man kann davon ausgehen, dass Putin weder den Film gesehen hat, noch Ahnung vom Internet hat, meint Snob-Kolumnist Konstantin Eggert:

„Putin besteht darauf, dass der Palast weder ihm noch seiner Verwandtschaft gehört. Eben. Genau das beweist Nawalny ja zwei Stunden lang: Formell gehört das Anwesen Strohmännern im Dienste des Präsidenten. Seine Antwort war also keine Antwort. ... Besonders bezeichnend war der Beginn von Putins Antwort auf die Frage zum Film: Er habe keine Zeit gehabt, ihn ganz anzusehen, deshalb habe er 'eine von seinen Gehilfen gebrachte Videoauswahl durchgeblättert'. Dazu machte der Präsident eine Geste, als würde er Buchseiten umblättern. Keine Ahnung, wie man ein Video 'bringen' kann, und noch dazu in Form einer geheimnisvollen 'Auswahl'.“

Echo Moskwy (RU) /

Die Ikone entweiht

Anton Orech von Echo Moskwy sieht die Entwicklung auf einen Showdown zwischen Nawalny und Putin hinauslaufen - wobei dessen Saubermann-Image auch von anderen Rechercheuren demontiert wird:

„Putin wurde Tausende Male in seinen Videos und Texten erwähnt, aber rein persönlich hat Nawalny ihn nie attackiert. Er ist sich bewusst, dass dies ein Volltreffer sein muss, nach dem es nun auf 'alles oder nichts' hinausläuft. ... Und offensichtlich läuft nicht nur ein Kampf zwischen den - vereinfacht gesagt - 'Korruptionären' und den 'Robin Hoods', sondern ein ganz konkreter Kampf zwischen Nawalny und Putin. In den letzten Monaten war etwas bislang nicht Dagewesenes zu bemerken: Journalisten nehmen Putin direkt ins Visier und bohren in den intimsten Stellen seines Lebens herum. Sie versuchen nicht nur einfach eine Wahrheit zu erzählen, sondern dessen sakrales Bild einer Himmelsgestalt zu zerstören.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Eine beispiellose Frontalattacke

Nawalny zahlt für die Aufrechterhaltung seines politischen Kapitals einen hohen Preis, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Er ist nach der Veröffentlichung des Films noch mehr als zuvor in Gefahr, jahrelang im Gefängnis zu verschwinden – mit dem Risiko großer Nebenwirkungen für seine Gesundheit. ... Ein irrationaler Husarenritt ist Nawalnyjs Vorpreschen dennoch nicht. ... Er musste in die Offensive gehen, wenn das in den vergangenen Jahren mühsam erarbeitete politische Kapital in seiner Abwesenheit nicht schmelzen sollte. Das ist ihm gelungen. Diese frontale Attacke auf Putin, wie es sie in einer solchen Breitenwirkung noch nicht gegeben hat, wird ein festes Datum in der russischen Politik bleiben, das mit Nawalnyjs Namen verbunden bleibt.“

newsru.com (RU) /

Rache wäre jetzt erst recht unklug

Der Politologe Kirill Rogow beschreibt in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post die Dramatik der Situation:

„Nawalny steht aktuell auf Rang 5 der Twitter-Trends – in den USA. ... Er ist eben ein Held. Wie Trump, nur umgekehrt. Derweil wird die Luft um den Häftling der U-Haftanstalt Nr. 1 immer dicker. Der Einsatz ist hoch. Einerseits müsste ihn diese Mafia nun umbringen, damit potenziellen Nachahmern die Lust vergeht, sie so offen mit einer derartigen Angstlosigkeit herauszufordern. Denn was wird dann aus ihrer Macht? Andererseits, wenn man Nawalny umbringt, wird sich niemand mehr daran erinnern, dass Putin 'die Krim geholt' hat. Sondern nur daran, dass Putin derjenige war, der Nawalny umgebracht hat, weil dieser von seinem Palast und der goldenen Klobürste erzählt hat.“