Gratis-Nahverkehr in Estland: Ernüchternde Bilanz

Vor vier Jahren führte Estlands Regierung in einigen Regionen ein kostenloses öffentliches Nahverkehrsangebot ein. Sie löste damit eines der Wahlversprechen der Zentrumspartei von Ex-Premier Ratas ein. Nun hat eine staatliche Erhebung gezeigt, dass weder die Zahl der ÖPNV-Nutzer gestiegen noch die der Autofahrer zurückgegangen ist. Die Pandemie hat die Nachfrage weiter gesenkt. Ist das Experiment gescheitert?

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Eesti Päevaleht (EE) /

Zu teuer und kaum nachgefragt

Für Eesti Päevaleht ist es Zeit, die Notbremse zu ziehen:

„Wer früher mit dem Auto ins regionale Zentrum gefahren ist, tut es auch jetzt. Wer früher öffentliche Verkehrsmittel genutzt hat, tut es weiter, vielleicht etwas häufiger. Es ist gekommen, wie die Experten gewarnt hatten. ... In drei Jahren ist es nicht einmal gelungen, die Fahrpläne der Busse und Züge aufeinander abzustimmen, von Innovativerem ganz zu schweigen. Buslinien, deren Kosten pro Nutzer über 100 Euro liegen - ja, die gibt es - sollte man nach dem gesundem Menschenverstand mit Taxis oder Rideshare-Diensten ersetzen. ... Besser Dorftaxis unterstützen als leere Linienbusse weiterfahren lassen.“

Eesti Rahvusringhääling (ERR Online) (EE) /

Es geht eben nicht nur um den Preis

Damit sich der öffentliche Verkehr auf dem Land durchsetzen kann, muss er flexibler sein, schreibt die Mobilitätsexpertin Merlin Rehema vom Stockholm Environment Institute in ERR Online:

„Ergänzend zu regulären Buslinien lohnt es sich, für dünn besiedelte Gebiete auch über bestellbare Transportangebote nachzudenken. Das Wesen des öffentlichen Verkehrs muss erneuert und je nach Wohnorten, Mobilitätsbedarf und Erwartungen der Nutzer angepasst werden. Bestellbarer Transport tut genau das: Er berücksichtigt die Bedürfnisse der Reisenden und bietet flexible Lösungen an. So, wie in Großstädten Bolt oder Uber auf Bestellung fahren, ist es auch möglich, öffentliche Fahrzeuge zur passenden Zeit an den passenden Ort zu bestellen. Auch in dünn besiedelten ländlichen Gebieten.“