Chance auf Frieden durch erneute direkte Gespräche?

Ukrainische und russische Delegationen kommen nach drei Wochen wieder zu direkten Verhandlungen zusammen. Die Ukraine nannte als Minimalziel die Verbesserung der humanitären Lage in den belagerten Städten. Sie zeigte sich aber auch gesprächsbereit bezüglich einer Neutralität des Landes. Einige Kommentatoren debattieren, ob diese Verhandlungen zu einem schnellen Waffenstillstand führen können. Andere raten der Ukraine, nichts zu übereilen.

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Radio Kommersant FM (RU) /

Es bewegt sich etwas

Die Historikerin Tatjana Parchalina erkennt in Radio Kommersant FM einen Hoffnungsschimmer bezüglich der Verhandlungen:

„Zuletzt trafen sich die Delegationen nur online, was damit erklärt wurde, dass man sich die Zeit für die An- und Abreise sparen möchte. Jetzt haben beide Seiten sich diese Zeit genommen. Das bedeutet, dass sich etwas bewegt. Auch spielen zwei weitere Faktoren eine Rolle: der außerordentliche Nato-Gipfel, bei dem beschlossen wurde, die Ostflanke der Nato massiv zu festigen und die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Und die Ankündigung, dass [die ostukrainischen Separatistengebiete] LNR und DNR Referenden über ihren Beitritt zu Russland abhalten wollen.“

La Stampa (IT) /

Russische Delegation ohne Entscheidungsmacht

Wenig Hoffnung auf einen Erfolg der Verhandlungen hegt Rosa Balfour, Leiterin des Think Tank Carnegie Europe, in La Stampa:

„Die russische Delegation, die an den Gesprächen teilnimmt, ist zweitrangig und hat keinerlei Einfluss auf den engen Entscheidungszirkel um Putin. Selbst Kreml-Sprecher Peskow und Außenminister Lawrow scheinen keinen direkten Draht zum Präsidenten zu haben. Es ist schwer vorstellbar, dass die russische Delegation in diesem Stadium des Kriegs etwas vorschlagen oder akzeptieren könnte.“

Postimees (EE) /

Keinen schlechten Frieden mit dem "Schlächter"

Schnelle Verhandlungen sind nicht unbedingt im Interesse der Ukraine, meint Postimees:

„Einer der offensichtlichen Erfolge ist, dass die Verhandlungen in der Türkei stattfinden, nicht mehr in Belarus, wo sie vor einem Monat begannen. Die Ukraine braucht den Frieden, um menschliches Leid zu lindern, aber schnelle Verhandlungen sind viel stärker im russischen Interesse. Tatsächliche inhaltliche Verhandlungen können aber erst beginnen, wenn die russische Position nicht mehr von Putin diktiert wird. Bis dahin sollten die westlichen Politiker die Ukraine nicht zu einem schlechten Frieden zwingen und Russland keine Hoffnungen auf den Abbau von Sanktionen machen, solange der 'Schlächter' an der Macht ist.“

Irish Independent (IE) /

Jede Chance ergreifen

Für Irish Independent wird sich schnell erweisen, ob die Verhandlungen erfolgreich sein werden. Die Zeitung lobt die Kompromissbereitschaft Selenskyjs im Vorfeld:

„Wenn diese Bemerkungen [zu den Themen Neutralität und Gebietsaufgabe im Donbass] nicht ausreichen, um den Verhandlungen ein entscheidendes Momentum zu geben, dann ist Moskau nicht ernsthaft an einer Lösung interessiert. Putin war eindeutig nicht auf die Kosten und Konsequenzen eines länger andauernden Zermürbungskriegs vorbereitet. Aber angesichts des enormen Ungleichgewichts der militärischen Ressourcen und der Rücksichtslosigkeit Putins, ist Optimismus verfrüht. Nichtsdestotrotz sollte jedwede Anstrengung unternommen werden, eine Lösung zu finden.“