USA: Kippt Gerichtshof das Recht auf Abtreibung?

Laut der US-Tageszeitung Politico droht in den USA das Ende des Rechts auf Abtreibung. Eine Mehrheit der Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofes soll einen entsprechenden Entwurf erstellt haben. Ein Grundsatzurteil von 1973, das Frauen das Recht zusprach, selbst über Abbruch oder Fortführung einer Schwangerschaft zu entscheiden, würde damit gekippt. Wie nimmt die europäische Presse Stellung?

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The Guardian (GB) /

Eine Katastrophe für Frauen

Sollte das Recht auf Abtreibung vom Supreme Court gekippt werden, wäre das desaströs, glaubt The Guardian:

„Eine solche Entscheidung wird Frauen dazu zwingen, in einem Land mit hoher Müttersterblichkeit und ohne bezahlten Mutterschaftsurlaub zu gebären. Sie wird Leben gefährden, wenn illegale Abtreibungen herangezogen werden. Sie wird gefährdete Frauen und diejenigen, die ihnen helfen wollen (und sogar diejenigen, die Fehlgeburten haben) mit Kriminalisierung drohen. Sie wird noch mehr Kinder in die Armut treiben. ... Außerdem stellt die Entscheidung andere etablierte Rechte in Frage, wie beispielsweise auch das der gleichgeschlechtlichen Ehe, das ebenfalls im Recht auf Schutz der Privatsphäre verankert ist. “

Frankfurter Rundschau (DE) /

Hoffentlich ein heilsamer Schock

Ein drohendes Ende des legalen Schwangerschaftsabbruchs in den USA ist für die Frankfurter Rundschau ein Alarmsignal:

„Es verdeutlicht die Macht der gesellschaftlichen Restauration durch ultrakonservativ-religiöse Kreise in Amerika. Vor allem aber entlarvt es, wie die Republikaner im Unterschied zu den Demokraten ihre Ziele vorangetrieben haben. ... Was bleibt, ist die Hoffnung auf einen heilsamen Schock. Das Kippen des Abtreibungsrechts könnte eine Gegenbewegung mobilisieren, die bei den Zwischenwahlen im Herbst den drohenden Mehrheitsverlust der Demokraten im Kongress verhindert.“

Kurier (AT) /

Schwangerschaftsabbruch wird zur Geldfrage

Der Kurier beklagt die soziale Ungerechtigkeit, die ein solches Urteil brächte:

„Entscheiden die Richter wie befürchtet, dann werden in 26 US-Staaten Abtreibungen mit einem Schlag illegal. Dann müssen Frauen wieder dafür ins Gefängnis, dass sie über ihre Sexualität, über ihren Körper, über ihre Freiheit selbst entscheiden wollen. Dann wird die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA noch mehr zementiert: Denn vermögendere Schwangere werden in ihrer Not in Bundesstaaten reisen können, wo Abbrüche noch möglich sind.“

La Repubblica (IT) /

Der Kreuzzug

Damit wird das Abtreibungsgesetz Hauptthema der Midterm-Wahlen zum US-Kongress im November, glaubt La Repubblica:

„Präsident Joe Biden reagiert kämpferisch. Wenn das Gericht 'Roe versus Wade' [Grundsatzentscheidung zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch von 1973] kippt, wird über ein Bundesgesetz zur Abtreibung abgestimmt, das es derzeit nicht gibt. … Die Republikaner setzen darauf, dass die Demütigung der verhassten Feministinnen und der Erfolg der Evangelikalen und der Katholiken, die gegen das Zweite Vatikanische Konzil sind, die Wahlurnen füllen werden. Die sechs Monate bis zur Abstimmung werden angesichts der Inflation, der explodierenden Preise und des Krieges in der Ukraine hart sein; der Kreuzzug gegen den Schwangerschaftsabbruch würde sie unerträglich machen“

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El Periódico de Catalunya (ES) /

Keine gute Inspiration für Europa

El Periódico de Catalunya fürchtet, der Entwurf könnte bei den extrem rechten Parteien Europas Schule machen:

„Wenn Anti-Abtreibungs-Gesetze verabschiedet werden, dann deshalb, weil zumindest in einigen Bundesstaaten eine Mehrheit, wenn nicht eine gesellschaftliche, so doch eine Wählermehrheit, diese Gesetze unterstützt. ... Aus europäischer Sicht wird die Entscheidung der Richter inspirierend sein für die extreme Rechte, die traditionell gegen Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehen und die Regelung der Sterbehilfe ist – die allesamt zur sogenannten Körperpolitik gehören. Die extreme Rechte bekämpft diese seit jeher mit Unterstützung religiöser Fundamentalismen, wie sie in den Vereinigten Staaten weit verbreitet sind. Die Gefahr einer Ansteckung liegt auf der Hand.“