Ukraine dreht Gashahn zu

Die Ukraine hat gestern einen wichtigen Knotenpunkt gesperrt, der Gas Richtung Westen liefert. Damit fällt rund ein Drittel des Gases weg, das über die Ukraine nach Europa gelangt. Der Grund sei der Kontrollverlust über die Region Luhansk und eine sich dort befindende Gasverdichterstation. Das macht die schon vorher geführten Debatten um die Möglichkeiten zu Energieautarkie von Russland und Energiewende dringlicher, meinen Kommentatoren.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Propagandageschenk für Putin

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung findet den Schritt der ukrainischen Regierung problematisch:

„Sie riskiert einen Schaden für die Volkswirtschaften ihrer wichtigsten Verbündeten in Europa, auch wenn die Versorgung in Deutschland und anderswo fürs Erste offenbar nicht gefährdet war. Die EU ist schon vor Jahren zum Opfer von ukrainisch-russischen Gaskriegen geworden. Das hat auch die Ukraine damals Vertrauen im Westen gekostet (eine Folge war der Bau von Nord Stream 2), das sollte man in Kiew nicht vergessen. Dass Russland nun wieder auf seine Vertragstreue verweisen kann, ist ein Propagandageschenk für Putin.“

Novi list (HR) /

Das Schlimmste kommt erst noch

Die Folgen für die Energieversorgung werden erst langfristig sichtbar, fürchtet Novi list:

„Die Nachricht, die ukrainische Regierung hätte eine der beiden Pipelines geschlossen, durch die russisches Gas nach Europa kommt, zeigt, dass der Energie-Krieg zwischen der EU und Russland - das die Ukraine angegriffen hat - immer größere Ausmaße annimmt. Offensichtlich erwarten uns ein unsicherer Herbst und Winter, noch höhere Preise von Produkten und Dienstleistungen sowie die Bedrohung durch wirtschaftlichen Ruin. ... Die bisher größte Energiekrise Europas hat ihr wahres Gesicht noch nicht gezeigt. Die Probleme mit der Inflation, die uns gerade trifft, sind nur der Anfang. “

Polityka (PL) /

Energiewende nötiger denn je

Der Krieg bietet Anlass, den Umbau der Energieinfrastruktur zu beschleunigen, meint Polityka:

„Europa hat das klare Signal erhalten, dass die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern nicht nur für das Klima, sondern auch für die strategische Sicherheit gefährlich ist. Es reicht nicht aus, einfach den Lieferanten zu wechseln, denn der Import einer so wichtigen Ressource wie Energieträger wird immer ein strategisches Risiko darstellen. Die einzige endgültige Lösung ist die Energieautarkie, und diese kann durch den Einsatz emissionsfreier Technologien erreicht werden.“

De Volkskrant (NL) /

Kürzer duschen allein reicht nicht

Um sich aus der Energieabhängigkeit von Russland zu lösen, muss der Westen seinen Verbrauch reduzieren, meint De Volkskrant:

„Ja, unseren Strom können wir vielleicht mit Sonne und Wind produzieren, aber ein nachhaltiger Umbau des Rests des (zunehmenden) weltweiten Energiebedarfs ist unmöglich. Wir werden weniger verbrauchen müssen. Der russische Krieg in der Ukraine gibt dazu einen ersten dringenden Anstoß. ... Die einzige strukturelle Lösung ist reduzieren. Die niederländische Regierung hat Verbraucher schon aufgerufen, weniger zu heizen und kürzer zu duschen. Aber eine breitere Strategie zu geringerem Verbrauch in der Industrie und beim Transport (endlich Kerosin besteuern?) fehlt noch. Obwohl die dringend nötig ist. Für jetzt und für später.“

Deutsche Welle (BG) /

Chance für Lösung aus dem Klammergriff des Kremls

Mit Gaslieferungen aus alternativen Quellen wie aus Aserbaidschan reduziert das ehemalige Ostblockland Bulgarien auch die politische Abhängigkeit von Moskau, kommentiert der bulgarische Dienst der DW:

„Krisen sind schicksalhafte Möglichkeiten zugleich. So ist es auch jetzt. Der Ukraine-Krieg gibt Bulgarien die entscheidende Chance einer realen Diversifizierung der Energielieferungen und nicht wie es [Ex-Premier] Bojko Borissow verstanden hat – russisches Gas und amerikanische Kompressoren. Ähnlich wie die Sozialisten hat sich Präsident Rumen Radew indirekt für weitere Lieferungen aus Russland ausgesprochen. ... Doch, während über die politischen Netzwerke der Einfluss Russlands Bulgarien immer noch erreicht, sieht es bei der Gasinfrastruktur inzwischen anders aus – der Kreml kann es nicht (mehr) blockieren.“