Zinswende bei der EZB: Spät, aber richtig?

Nach der US-Notenbank FED und der Bank of England hat nun auch die Europäische Zentralbank angekündigt, ihren Leitzins anzuheben. Plus 0,25 Prozentpunkte ab Juli sind die erste Erhöhung seit mehr als zehn Jahren. Wegen der hohen Inflation von derzeit fast acht Prozent war die Zinswende bereits erwartet und mitunter sogar ersehnt worden. Für Europas Kommentatoren sind viele Fragen aber weiterhin offen.

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Zeit Online (DE) /

Besser spät als nie

Zeit Online fragt sich, ob die Wende rechtzeitig kommt:

„Die Geschichte lehrt: Je länger eine Notenbank damit wartete, gegen eine sich selbst verstärkende Inflation vorzugehen, wenn etwa auch die Löhne zu steigen begannen, je länger sie die Sache also laufen ließ, desto härtere Mittel musste sie am Ende einsetzen, um die Preise wieder unter Kontrolle zu bringen. Und desto härter waren die Folgen für die Wirtschaft und die Menschen. Vor diesem Hintergrund ist Christine Lagarde spät dran. Natürlich hätte man früher ahnen können, dass die Inflation länger bleibt. Die Zinswende kommt spät. Aber gut, dass sie kommt.“

La Stampa (IT) /

Unsicherheit bleibt

Der Schritt war fällig, ist aber natürlich auch folgenschwer, wirft der Ökonom Carlo Cottarelli in La Stampa ein:

„Die Reaktion der Märkte war nicht gut. ... Warum? Einige Kommentatoren meinten, dass die getroffenen Entscheidungen einen wachsenden Einfluss der 'Falken' - der Vertreter der nordeuropäischen Länder - im EZB-Rat erkennen ließen. In Wirklichkeit scheint mir das, was die EZB angekündigt hat, das Mindeste zu sein, was man von einer Zentralbank erwarten kann, die mit einer Inflation von über acht Prozent konfrontiert ist. … Eine andere (und besorgniserregendere) Interpretation ist, dass die Ankündigung einer allmählichen Straffung der Geldpolitik nicht als ausreichend angesehen wird, um die Inflation einzudämmen.“

De Volkskrant (NL) /

Abwarten ist die beste Strategie

Für alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen ist weiterhin Vorsicht geboten, meint De Volkskrant:

„Die Weltwirtschaft ist durch die Pandemie und den Krieg, der darauf folgte, total entgleist. Dadurch muss jeder wirtschaftlichen Prognose mit größter Vorsicht begegnet werden. Das macht es für die Politik, aber auch für Gewerkschaften und Arbeitgeber nicht einfach zu beurteilen, was makro-ökonomisch kluge Politik ist. Die Löhne extra erhöhen oder gerade nicht, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern? Sparen bei den Staatsausgaben oder gerade extra ausgeben, um die hohe Inflation aufzufangen? Abwarten, bis die Welt stabilisiert ist, scheint die beste Strategie. “

Les Echos (FR) /

Bitte keine zusätzlichen Ausgaben

An die Konsequenzen, die die Zinswende für Frankreich haben könnte, denkt vor der Parlamentswahl am 12. und 19. Juni niemand, kritisiert Les Echos:

„Mit einer Staatsverschuldung von über 2,8 Billionen Euro und einem XXL-Defizit ist unser Land durch eine Zinserhöhung besonders gefährdet. Diese reale Bedrohung findet in der öffentlichen Debatte aber leider keinen Widerhall. Ganz im Gegenteil, im Wahlkampf für die Parlamentswahl wurden noch zusätzliche Ausgaben versprochen. ... Dass das Lager des Präsidenten gezielte und zeitlich begrenzte Maßnahmen ergreifen will, um den Inflationsschock abzufedern, ist noch verständlich. Die 250 bis 300 Milliarden zusätzlichen Ausgaben, die das sehr teure Programm des Linksbündnisses Nupes vorsieht, sind jedoch nicht umsetzbar.“